Die Corona-Krise hat unsere Leben verändert. Maskenpflicht, Urlaube auf Balkonien statt auf Sansibar und das Zuhause wurde für viele dauerhaft zum Büro. Das verursacht Stress. Zu viel Stress. Der will abgebaut werden. Diese Erkenntnis hat unsere Redakteurin Anna zu einer besseren Läuferin gemacht – behauptet sie.
Der Tiefpunkt lag im April. Dreizehn Schritte. An einem Montag. Das leuchtete mir an einem lauwarmen Frühlingsabend auf der Oberfläche meines Smartphone-Trackers entgegen. Mein Radius an diesem Tag: Schlafzimmer, Bad, Küche und Couch, die mir als temporäres Arbeitszimmer diente. Frische Luft? „Braucht doch kein Mensch,“ hallte es unironisch durch meinen Kopf. Dass es mein Job ist über Bewegung zu schreiben, ignorierte ich beherzt. Solange es eben ging. Denn die Quittung kam prompt: Rückenschmerzen, schlaflose Nächte und dieses Wummern in der Brust, das man sonst nur nach einem Hundertmeterlauf hat.
Google-Selbstdiagnose: Stress
Mein erster Gedanke: Stress. Klar, die Pandemie hatte einiges verändert. Ich machte mir Sorgen um Angehörige und Freund*innen, vieles brach einfach weg und ich saß plötzlich dauerhaft in meiner dunklen Wohnung fest. Diese hatte ich in den vergangenen zwei Wochen fast nur verlassen, um meinen Vorrat an Nudeln und Tomatensoße aufzustocken. Eine kurze Google-Diagnose bestätigte: Stress war definitiv eine Komponente meiner Symptome. Das Schöne: Den kann man bekämpfen. Selbst wenn sich die Umstände vorübergehend nicht ändern lassen.
Was Stress mit unserem Körper macht
Die Psychologin Dr. Emily Nagoski beschreibt Stressverarbeitung als das Durchbrechen des „stress-response-cycle“, also des Stress-Reaktions-Zyklus. In ihrem Buch „Stress: Warum Frauen leichter ausbrennen und was sie für sich tun können“, erklärt Nagoski, dass der menschliche Körper auf Stress reagiert, indem er Stresshormone wie Cortisol und Adrenalin ausschüttet. Das kann vorübergehend passieren, wenn man kurzfristig einer angsteinflößenden Situation ausgesetzt ist. Zum Beispiel kurz vor Abschluss eines wichtigen Projekts.
Aber es gibt auch anhaltenden Stress, dessen Ende nicht in Sicht ist. Zum Beispiel eine Pandemie, die in alle Bereiche des Lebens eingreift und sie behindert: Familienleben, Freundschaften, Beruf und auch Freizeitgestaltung. Bei anhaltendem Stress, so Nagoski, können chronische Anspannungszustände entstehen, die sich langfristig auf unsere körperliche und mentale Gesundheit auswirken. Zum Beispiel beeinflusst chronischer Stress unseren Blutdruck, unsere Verdauung und das Funktionieren unseres Immunsystems. Diese Anspannungszustände können uns, so die Psychologin, sogar krank machen – deshalb ist es wichtig, den Stress-Reaktions-Zyklus zu beenden.
Schön ist, dass das auch geht, wenn sich die Stressfaktoren vorübergehend nicht eliminieren lassen. Heißt, auch wenn wir nichts an der Situation ändern können, zum Beispiel weil sich eine Pandemie nicht einfach wegzaubern lässt, können wir die Stresshormone loswerden, indem wir unserem Körper geben was er braucht: Bewegung.
Mit Sport den Stress-Reaktions-Zyklus beenden
„Physische Aktivität ist die effektivste Strategie, um den Stress-Reaktions-Zyklus zu durchbrechen“, schreibt Nagoski in ihrem Buch. Also Laufen, Schwimmen, im Wohnzimmer eine Tanzparty mit sich selbst veranstalten – alles was unseren Körper außer Atem bringt. Aber auch Atemübungen, Lachen, Zuneigung und kreative Projekte seien hilfreich.
Klingt logisch. Trotzdem ist das mit dem Stressabbau genauso wie mit den Stabi-Übungen. Theoretisch wissen wir alle wie wichtig das ist, nur praktisch drücken wir uns davor, wie vor dem Einräumen der Spülmaschine. Nachdem ich Nagoskis Buch an einem Wochenende verschlungen hatte, wurde mir bewusst, dass ich dieser Lücke schließen musste. Denn das Ende der Pandemie und der Einschränkungen sind bis heute nicht in Sicht.
Der Plan: Raus aus dem Motivationsloch, rein in die Laufroutine
Dass das nicht einfach werden würde, war mir bewusst. Immerhin kreiste seit zwei bis drei Jahren ein Motivationsloch um mich, das ich bisher weder mit neuen Sportklamotten, noch mit Fitnessstudiomitgliedschaften zu stopfen vermocht hatte. Immer wieder hatte ich mir ambitionierte Ziele gesteckt und nach spätestens zwei Wochen aufgegeben. Die Ausreden: Zu anstrengend, “ich fühle mich krank” oder eben einfach unmotiviert.
Aber diesmal sollte alles anders werden. Diesmal dienten keine unnötigen Einkäufe oder falschen Body-Goals als Motivatoren, sondern ein einfaches Ziel: Stressausgleich. Dafür musste ich mich selbst austricksen. Ich führte eine Regel ein: mindestens zwei bis dreimal die Woche würde ich mir die Laufschuhe schnüren und vor die Tür gehen. Ohne Ziel. Ohne Uhr. Ohne Handy. Egal wie lange. Egal wie schnell. Und so fing ich an zu laufen. Oder besser gesagt, so fing ich an zu gehen. Dann gemächlich zu traben.
Leistungsgedanken verloren, Beständigkeit gewonnen
Die ersten Male waren im Prinzip ein schneller Spaziergang in meiner Nachbarschaft. Das Gefühl danach: schwerelos, entspannt. Ich schlief durch und fühlte mich besser. Bald wurden die Läufe länger, blieben aber weiterhin langsam. Gedankenverloren schob ich meinen Körper entlang der sich windenden Straßen Berlins, durch Parks in denen ich anderen Corona-Läufer*innen begegnete. Das war schön und brachte eine Leichtigkeit mit sich, die ich ganz vergessen hatte. Die Erkenntnis: Laufen macht auch ohne Ziele Spaß. Vielleicht sogar ein bisschen mehr?
Inzwischen laufe ich immer noch so. Regelmäßig. Ohne Uhr. Ohne Ziel. Ohne alles. Naked Running nennen das die Laufexpert*innen. Was mich erstaunt: vor der Corona-Krise habe ich das nicht geschafft. Also regelmäßig zu laufen. Zu genießen, wie der Kopf sich mit jedem Schritt leert und Raum für neue Ideen entsteht. Das hat mich als Läuferin verändert. Zum Positiven. Ich bin besser geworden. Behaupte ich jetzt einfach mal.