Der Schweizer Fitness-Coach Werner Kieser ist mit “Kieser Training” weltweit erfolgreich. Im Gespräch mit Achilles Running erklärt er, warum Laufen nichts mit Gesundheit zu tun hat. Außerdem weiß er, wie man glücklich wird.
Achilles Running: Herr Kieser, warum klagen rund 60 Prozent der Deutschen über Rückenbeschwerden?
Werner Kieser: Weil die wenigsten wissen, wie wichtig eine kräftige Muskulatur ist. Man könnte auch fragen: Warum putzen wir unsere Zähne? Weil wir eingesehen haben, dass es notwendig ist.
Heißt das, Sport allein reicht nicht, um gesund zu leben?
Sport ist keine Lösung, auch Laufen nicht.
Aber Laufen macht glücklich und hält den Körper gesund und vital …
Das mag sein, aber Läufer*innen haben muskuläre Dysbalancen. Wir sind keine Lauftiere. Wir brauchen unseren Körper für Kampf, Sport und Spiele. Dafür ist er ausgelegt. Der Zweck des Laufens ist Flucht oder Angriff, das hat nichts mit Gesundheit zu tun.
Sie können dem Laufen nichts Positives abgewinnen?
Die Frage ist, welche Erfordernisse wir an unseren Körper stellen. Laufen ist gut, um den Kreislauf in Schwung zu halten. Aber wenn es nur darum ginge, den Puls hochzujagen, könnte man genauso gut Krafttraining machen. Meistens ist es aber auch die körperliche Arbeit, die unseren Körper krumm und schief macht. Und dagegen sollte man etwas unternehmen.
Läufer*innen, die kein Krafttraining machen, haben also ein Problem?
Läufer*innen beanspruchen ihren Bewegungsapparat nur in einer bestimmten Weise, also einseitig. Deshalb bekommen sie früher oder später Probleme mit den Gelenken. Der menschliche Fuß und das Schienbein bestehen aus 28 Knochen. Der Fuß des Pferdes, das ein Lauftier ist, besteht aus drei Knochen. So sind wir aber nicht konzipiert: Unsere Füße sind Greiforgane, die wir zum Laufen einsetzen.
Was sollten Läufer*innen Ihrer Meinung nach tun?
Das körperliche Gleichgewicht herstellen. Das heißt, sie müssen ihre Statik optimieren, indem sie jene Muskeln kräftigen, die während des Laufens nicht beansprucht werden. Ein häufiges Beispiel ist die Verkürzung der Hüftbeuger bei zu schwachen Hüftstreckern.
Gezieltes Krafttraining gleicht diesen für den Laufsport typischen Mangel aus. Das Training der Hüftstrecker über den ganzen Bewegungsumfang vergrößert zudem die Schrittlänge.
Warum ist Krafttraining bei vielen Läufer*innen unbeliebt?
Menschen neigen dazu, Entscheidungen aus ihrer genetischen Disposition zu treffen. Bei langen, dünnen Menschen ist es wahrscheinlich, dass sie Ausdauersport machen. Kleine, kräftige Menschen sind eher dem Muskeltraining zugeneigt. Aus sportlicher Sicht ist das auch richtig. Aus gesundheitlicher Sicht jedoch nicht sinnvoll.
Was ist verkehrt daran, das zu tun, wofür man prädestiniert ist?
Der Ausdauermensch ist ein Herz auf zwei Beinen. Er täte gut daran, seine Muskeln zu trainieren, statt Ausdauer zu bolzen. Der Kraftmensch dagegen ist ein Tank, der im Standgas mehr Sprit verbraucht als der dünne Mensch beim Laufen. Dünne Menschen müssten also Krafttraining machen und kräftige ihre Ausdauer verbessern. Nur Widerstände bringen uns weiter, genauso ist es auch bei den Muskeln.
Was halten sie vom Kult, der um den Körper inszeniert wird? Ist er berechtigt?
Die Jugend ist ein flüchtiger Zustand, der erwachsenen Menschen als Mode verkauft wird. Diese Trends haben kompensatorisch mit der Überalterung unserer Gesellschaft zu tun.
Und Ihr Trainingsprogramm verspricht ewige Jugend?
Nein, es ist eine rationale Maßnahme, die eine bessere Gesundheit verspricht. Es ist nicht lustig und es ist nicht gerade angenehm, aber es macht glücklich – das ist wichtig.
Klingt nicht gerade motivierend ...
Sie müssen zum Training gehen, wie wenn Sie ihr Auto in die Waschanlage bringen. Je zwei Mal 30 Minuten Training in der Woche reichen, um den Trainingseffekt zu erzielen. Ist das nicht Motivation genug?
Teilweise. Sie reduzieren das Glück rein auf den Körper …
Ja, mir geht es um Knochen und Muskeln …
… und nicht um Geist oder Seele?
Eine Seele habe ich bisher nicht gefunden, dafür chemo-elektrische Prozesse im Hirn und einen Hormonhaushalt. Wenn jemand an die Seele glaubt, kann ich das zwar nachvollziehen, aber konkrete Hinweise darauf gibt es nicht.
Sie glauben, dass der Weg zum Glück nur über den Körper geht?
Ja, natürlich! Der Körper muss intakt sein, damit man frei ist für andere Dinge. Glücklich wird man nur, wenn man sich um den Gesundheitszustand des Körpers keine Gedanken machen muss.
Zur Person: Der Schweizer Muskel-Missionar Werner Kieser, Jahrgang 1940, ist Diplomtrainer und gründete sein erstes Fitness-Zentrum 1967 in Zürich. Heute findet man von England bis Australien Studios seiner Kette “Kieser Training”.