Esther Gokhale gibt Menschen mit Rückenschmerzen Hoffnung. Die Kalifornierin sagt: “Rückenbeschwerden sind heilbar. Wir müssen nur unsere natürliche, ursprüngliche Körperhaltung zurückgewinnen.” Sie zeigt, wie man wieder richtig geht und sitzt.
Es klingt zu schön, um wahr zu sein: “Nie wieder Rückenschmerzen. Durch gesundes Sitzen, Schlafen und Gehen.” Doch vielen tausenden Menschen hat die “Gokhale-Methode” schon geholfen.
Erfinderin Esther Gokhale aus Palo Alto, Kalifornien, litt selbst jahrelang unter starken Rückenschmerzen. Sie ließ sich sogar operieren – aber die Probleme kamen wieder.
Dann machte sie sich selbst auf die Suche, studierte Fachliteratur, reiste ins ländliche Portugal, nach Burkina Faso und in Fischerdörfer in Brasilien. Sie stellte fest, dass die Haltung und Bewegungen der Menschen dort uraltes Körperwissen beinhalten. Diese Menschen hatten keine Rückenschmerzen, waren gesund und belastbar.
Video: Esther Gokhale erklärt die Gokhale-Methode
Ihre These aus jahrelanger Forschung: Die Menschen in der westlichen Welt haben vergessen, wie man richtig geht, steht, schläft und sitzt. Das Wissen, wie man sich gesund und effizient bewegt, wurde nicht weitergegeben.
Wir müssen es wieder lernen. Wir sitzen nicht zu viel, wir sitzen nur falsch. Achilles Running stellt kurz zwei Gokhale-Sitztechniken vor.
Wie man richtig sitzt
Das Stapelsitzen
Nutzen: Das Stapelsitzen ermöglicht stundenlanges, lockeres Sitzen, entspannt die Rückenmuskulatur, erleichtert das Atmen, stützt die Beckenorgane und verbessert die Durchblutung des Rückens.
Diese Art des Sitzens ähnelt dem Aufeinanderschichten von Bausteinen. Das tragfähige Fundament ist dabei das nach vorne geneigte Becken, auf dem die Wirbelsäule “aufgestapelt” wird.
Der Oberkörper muss keine zusätzliche Muskelkraft aufbringen. Ein Sitzkeil erleichtert die Vorneigung des Beckens. Der Rücken ist weder rund noch überstreckt, der Nacken wird nach oben gestreckt.
Das Dehnsitzen
Nutzen: Das Dehnsitzen mindert Muskelschmerzen, dehnt die Rückenmuskulatur, entlastet die Bandscheibe und Nerven und verbessert den Flüssigkeitsaustausch rund um die Wirbelsäule.
Diese Art des Sitzens soll den Rücken sanft “unter Zug” setzen. Es soll Probleme lösen, die jahrelanges Beugen und Überstrecken verursacht haben.
Die Wirbelsäule wird gegen die Lehne eines Stuhls gestreckt. Das entlastet die Bandscheibe. Die langen Rückenmuskeln werden gedehnt. Die Schultern werden soweit es geht, nach hinten gerollt.
“Das Sitzen hat ein schlechtes Image”
Rückenschmerzen sind leicht zu lindern, sagt Esther Gokhale. Alles, was wir tun müssen, ist wieder richtiges Gehen, Stehen und Sitzen lernen.
Im Interview mit Achilles Running erklärt die Kalifornierin, warum die richtige Körperhaltung Rückenschmerzen heilt.
Achilles Running: Frau Gokhale, warum leiden so viele Menschen an Rückenschmerzen?
Esther Gokhale: Wir haben vergessen, wie wir unseren Körper im Alltag richtig einsetzen. Ich glaube daran, dass es eine kinästhetische Tradition gibt, ein Wissen über gute Haltung, das früher an nachfolgende Generationen weitergegeben wurde. Dieses natürliche Bewegungsempfinden ist uns abhanden gekommen, also improvisieren wir.
Wir improvisieren – wie meinen Sie das?
Nehmen wir zum Beispiel den Gang: Bei vielen Menschen sieht der Gang aus, als wäre er eine Serie von Stürzen. Das Bein wird ausgestreckt, um das Fallen zu verhindern. Im Idealfall ist das Gehen eine sanfte Aneinanderreihung kontrollierter Vorwärtsbewegungen, ein Gleiten, bei dem man die Gesäßmuskeln anspannt und gleichzeitig die Gelenke und den Rücken schont.
Wir gehen also falsch. Aber das viel größere Problem ist doch, dass wir viel zu viel sitzen.
Das Sitzen hat seit einiger Zeit ein schlechtes Image. Es ist das neue Rauchen geworden (lacht). Natürlich bin auch ich der Meinung, dass man nicht die ganze Zeit herumsitzen soll, ohne sich zu bewegen.
Aber ich glaube, der Fehler liegt nicht darin, dass wir zu viel sitzen, sondern dass wir eine schlechte Haltung beim Sitzen einnehmen.
Was kann man beim Sitzen falsch machen?
Viele haben das Gefühl, sie müssten sich zwischen zwei Positionen entscheiden – die beide schlecht sind. Entweder man entspannt sich und kauert zusammengesackt auf dem Stuhl oder man richtet sich auf – und sitzt sehr steif und angestrengt.
Sie empfehlen, das Gehen und Sitzen neu zu erlernen. Aber die jahrelang eingeprägten Automatismen kriegen Sie doch kaum wieder heraus.
Doch, leichter als man denkt. Um die richtigen Haltungen und Bewegungsmuster zu lernen, muss man nicht studiert haben. Manchmal reicht ein intensiver Wochenendkurs. Vor allem das Sitzen ist relativ einfach. Das kann man auch aus dem Buch lernen.
Ich lehre zwei Techniken, bei denen man komfortabel und gesund sitzt: Beim “Stapelsitzen” wird das Becken nach vorne geneigt, sodass es als Basis für die Wirbelsäule dient. Beim “Dehnsitzen” strecken wir den Rücken. Das entlastet die Bandscheibe.
“Stress ist nicht der Hauptgrund”
Die Menschen haben aus den unterschiedlichsten Gründen Rückenbeschwerden. Sind Sie der Meinung, dass wirklich alle mit Ihren Techniken wieder gesund werden können?
Ich will nicht sagen, dass ich die Lösung für alle parat habe. Es gibt sicher medizinische Notwendigkeiten, die ihre Berechtigung haben, keine Frage. Aber ich denke, dass eine gute, gesunde Haltung bislang sträflich vernachlässigt wurde.
Wenn wir die Art und Weise ändern, wie wir uns bewegen, haben wir große Chancen, Rückenbeschwerden und -schmerzen vergleichsweise schnell zu lindern.
Aber ignorieren Sie da nicht die individuelle Krankheitsgeschichte?
In den Kursen, die wir geben, geht es natürlich auch um die Vorgeschichte und das Krankheitsbild, aber es gibt generell eine falsche Auffassung davon, was wirklich Rückenschmerzen verursacht.
Als Beispiel: Es wird immer gesagt, dass Rückenbeschwerden eine Folge von Übergewicht sind. Ich habe das untersucht – tatsächlich gibt es nur einen geringen Zusammenhang zwischen Übergewicht und Rückenschmerzen, außer man spricht von Menschen, die 200 Kilos und mehr wiegen.
Was ist mit psychologischen Faktoren wie Stress?
Stress macht alles schlimmer. Aber ich denke nicht, dass es die Hauptursache für Rückenschmerzen ist. Ich glaube, der Hauptgrund ist, dass die Menschen verlernt haben, wie sie ihren Körper bewegen sollen.
In unseren Kursen lernen die Menschen wieder, ihre “primal posture”, also ihre ursprüngliche Haltung einzunehmen. Wenn sie sich in ihrer Haut wieder wohlfühlen, lösen sich meist auch andere Probleme.
Sie mussten es auch wieder lernen.
Ich hatte sehr lange ernsthafte Rückenschmerzen, die mit den üblichen Methoden nicht zu heilen waren, selbst nicht mit der Alternativmedizin. Ich habe alles ausprobiert: Physiotherapie, Chiropraktik, Akupunktur – ich wurde sogar operiert.
Nach einigen Jahren tauchten die gleichen Probleme wieder auf, und man riet mir, mich wieder unters Messer zu legen – was ich nicht wollte. Ich war gerade mal Mitte 20.
Sie bereisten die Welt auf der Suche nach Lösungen.
Ich habe andere Methoden untersucht, medizinische Fachliteratur studiert, bin gereist, habe fotografiert und andere Menschen befragt. An Frauen in Burkina Faso zum Beispiel kann man sehen, wie man richtig geht.
Es ist sehr beeindruckend, wie elegant, schön und belastbar sie sind. Sie laufen kilometerweit, mit Gepäck auf dem Kopf und Baby auf dem Rücken und werden trotzdem nicht müde. Es gibt medizinische Untersuchungen, die zeigen, dass sie ihre Fracht viel effizienter tragen als US-Soldat*innen.
Müssen wir gar nicht unbedingt fit sein, um Rückenschmerzen vorzubeugen?
Man muss sicher nicht supermuskulös sein. Aber das Gute ist, dass man beim Erlernen der richtigen Haltung auch automatisch stärker wird. Und diese Kräftigung wiederum hat Auswirkungen auf den Bewegungsapparat.
Zur Person: Esther Gokhale lebt und arbeitet in Palo Alto, Kalifornien. Die gebürtige Inderin litt nach der Geburt ihres Kindes selbst jahrelang an Rückenschmerzen. Seit 20 Jahren ist sie nach eigener Aussage schmerzfrei. Gokhale hat Biochemie in Harvard und Princeton studiert. Zudem bietet sie Kurse an und bildet Lehrer*innen aus.