Millionen Läufer*innen haben den Traum, den Marathon ein Mal in weniger als drei Stunden zu laufen. Doch egal wie viel sie trainieren – es gelingt den wenigsten. Achilles-Running-Doc Matthias Marquardt räumt mit unrealistischen Erwartungen auf.
Wir leben in einer Gesellschaft voller Held*innen, die es vom*n Tellerwäscher*in zum*r Millionär*in, vom*n Autowäscher*in zum*r Konzernchef*in oder vom*n Zeitungsausträger*in zum*r Verlagschef*in gebracht haben.
Menschen lieben diese Geschichten. Und die Idee, dass man alles, aber auch wirklich alles, kraft seines Willens erreichen kann, wird immer wieder gerne aufgegriffen und zitiert. Natürlich auch von Sportler*innen. “Wenn du es wirklich willst, dann kannst du alles schaffen“, schreiben sie sich auf die Fahnen. Auch ihre Trainer*in und neuerdings auch Psycholog*in vermitteln dieses Denken.
Natürlich ist der Wille zum Freisetzten von Energien wichtig. Der Glaube an sich selbst beflügelt. Und so brauchen Sie sich gar nicht zu wundern, wenn der Marathonläufer im Büro nebenan plötzlich Zettel mit “Du schaffst es, wenn du es wirklich willst“ an seinen Monitor klebt oder als Bildschirmschoner eine Banderole mit “Ich kann es schaffen!“ installiert. Vielleicht dachten Sie schon länger, er sei nicht ganz dicht, vielleicht haben Sie auch Recht damit, aber die Eigenmotivation anzuheizen, sich selbst positiv zu bestärken, mit welchen Methoden auch immer, ist Küchenpsychologie, die vielen Sportler*innen wirklich hilft.
Viel Training, wenig Ertrag – kein Talent
Kann aber wirklich jeder alles schaffen? Leider nein! Ich hatte einmal eine Sportlerin in meiner Trainingsgruppe, die davon besessen war, einen Ironman zu bewältigen, der bekanntermaßen neben dem Schwimmen und 180 km Radfahren noch einen Marathonlauf beinhaltet. Motiviert bis in die Haarspitzen, überzeugt davon, es schaffen zu können, ging sie ans Training. Fünf Stunden pro Woche, später 10, dann sogar 15. Technik-, Kraft-, Intervalltraining, Lauf-ABC – sie trainierte mit den Cracks zusammen und genoss professionelle Betreuung.
Einziger Haken: Die Laufleistung lag im Bereich von 1:20 Stunden für 10 Kilometer. Das ist für jemanden, der so viel und so ernsthaft trainiert, derartig langsam, dass man sich als Arzt fast schon Sorgen macht. Folgende Gründe für die verminderte Leistungsfähigkeit konnten ausgeschlossen werden:
- Mangelerscheinungen, insbesondere Eisenmangel
- Infektionskrankheiten
- Herzfehler
- falsche Trainingssteuerung
- Übertrainingssyndrom
- fehlendes Ausschöpfen der körperlichen Möglichkeiten
- lauftechnische Fehler
- Fehler bei der Schuhversorgung
Professionelle Leistungsdiagnostiken und Untersuchungen ergaben nur eines: Die junge Frau erwies sich als kerngesund. Im Wettkampf war sie trotz intensiver Vorbereitungen und unter Aufbietung aller Kräfte nicht in der Lage, 10 Kilometer unter 1:20 Stunden zu laufen. Und glauben Sie mir: Sie wollte das wirklich, sie hätte alles darum gegeben, die Zeit zu unterbieten. Entsprechend lang zog sich dieses Leidensgeschichte hin, denn wenn jemand überall vermittelt bekommt: “Du kannst es, wenn Du nur willst“, dann denkt er eben, er müsse es wirklich nur richtig wollen und sich nur noch mehr anstrengen, dann werde es schon klappen.
Nun, wie weit ist derjenige von einem Ironman-Rennen entfernt, der 10 Kilometer am Limit in 1:20 Stunden läuft? Die junge Dame wäre in einem solchen Rennen niemals in der Lage gewesen, das Zeitlimit zu erreichen. Der Traum war illusorisch. Aber wer vermittelt ihr das? Irgendwann fingen die anderen Athleten sogar an, Wetten abzuschließen, ob sie es schaffen würden, die Intervalle oder Wettkämpfe doppelt so schnell zu laufen wie die Iroman-Aspirantin. Das Schlimmste war: Sie schafften es!
Nicht verzweifeln, auch wenn Träume platzen
Ein Drama, das ich nur durch ein ernstes Gespräch mit der jungen Dame beenden konnte. Ein Gespräch, das ihre Träume relativieren musste. Das ihr klar gemacht hat, dass sie gesund und motiviert ist, dass ihr aber schlichtweg das Talent fehlt. Es gab viele Tränen. Aber was sollte ich machen: In Bezug auf mangelndes Talent war sie eine Ausnahme. Ich habe nie wieder jemanden gesehen, der mit so viel Aufwand so wenig erreicht hat. Sollte sie ein Leben lang frustriert einem nicht erreichbaren Ziel hinterherlaufen?
Reden wir einmal Klartext: Diejenigen, die Marathons in 2:50, 2:30 Stunden oder gar noch schneller laufen, die haben ein Talent. Meist sind diese Sportler*innen fast ohne Training in der Lage, 10 Kilometer in weniger als 40 Minuten zu laufen. Wer nach einigen Jahren Training ohne grobe Fehler immer noch mit den 60 Minuten auf 10 Kilometern hadert, hat einfach weniger Talent. Wenn Sie sich umhören, dann werden Sie feststellen, dass einige Ihrer Kolleg*innen den Marathon in 4:00 Stunden bei 35 Kilometern Trainingsumfang pro Woche geschafft haben, andere haben dafür 80 Kilometer pro Woche trainiert.
Natürlich macht es Spaß, sein Training zu optimieren und seine Leistungsgrenzen auszuschöpfen. Aber lassen Sie sich nicht frustrieren, wenn Ihnen einige Leistungsbereiche verschlossen bleiben. Laufen ist und bleibt IhrSport, und Sie laufen für Ihre persönlichen Ziele!