Viele Menschen machen sich in der derzeitigen Coronakrise Gedanken um ihre sportliche Form und vor allem ihr Gewicht. Unsere Redakteurin Anna ist der Meinung, dass wir uns etwas entspannen sollten, denn gerade jetzt ist es egal, wenn die Form flöten geht.
„Wegen des Corona-Virus wird mein Sommerkörper auf 2021 verschoben. Danke für euer Verständnis.“ verkündete eine Twitter-Userin bereits am 14. März. Der Tweet ging viral und wurde über 100 000 Mal geteilt. Auch unter dem Hashtag #quarantine15 teilen viele Nutzer*innen zurzeit selbstironische Anekdoten zum Thema Gewichtszunahme in Isolation. And we get it.
Viele machen sich Sorgen um ihre hart erarbeitete Form. Immerhin sind wir für den geplanten Halbmarathon stundenlang gelaufen und haben bei den harten Intervallen so sehr die Zähne zusammengebissen, dass am Ende der Nacken ganz steif war. Wir haben Opfer gebracht. Und jetzt ist alles verschoben oder gecancelt – keine Belohnung für die Schufterei. Da kann man sich schon mal die Sinnfrage stellen und den Frust in Form eines selbstironischen Memes oder Tweets rauslassen.
Wenn Selbstironie toxisch wird
Trotzdem haben diese Nachrichten, die gefühlt gerade von enttäuschten Nutzer*innen im Minutentakt ins Internet geblasen werden, einen Unterton, der zwar nicht neu, aber auch in Corona-Zeiten toxisch ist. Der Subtext: Jetzt zuzunehmen oder die Form zu verlieren macht dich bestenfalls zur Punchline eines Memes, im schlechtesten Falle zum Gespött deines Bekanntenkreises.
Interessant ist auch, dass diese Art von selbstironschem Humor eigentlich nur funktioniert, wenn der gesellschaftliche Konsens besteht, dass Zunehmen und Ausruhen etwas Negatives sind.
Falsche Schönheitsideale, Produktivität und der ganze Selbstoptimierungskäs‘
Tatsächlich lässt sich ersteres kaum bestreiten. Besonders vor dem Hintergrund der vielen Artikel mit Titeln wie „Corona-Hunger – Wie vermeidet man zusätzliche Pfunde“, die gerade im Netz sprießen wie Maiglöckchen im Frühling. Aber warum eigentlich zusätzliche Pfunde vermeiden?
Manche behaupten jetzt reflexartig, dass es natürlich nur um die Gesundheit geht. Ihre Gleichung geht in etwa so: rank und schlank ist nicht nur schön, sondern auch gesund. Dabei ist bereits seit einiger Zeit bekannt, dass Gewicht nicht unbedingt ein Indikator von guter Gesundheit sein muss. Und überhaupt, wer hat eigentlich gesagt, dass nur schlanke Körper schöne Körper sind? Zeigt hier also nicht die gesellschaftliche Angst vor Übergewicht und unsere Obsession mit Äußerlichkeiten ihre hässliche Fratze? Vermutlich. Anders lässt sich kaum erklären, dass in WhatsApp-Konversationen mit Freundinnen gerade immer wieder die Sorge geäußert wird zuzunehmen.
Aber nicht nur die Sorge zuzunehmen ist derzeit beliebt. Auch das Thema Produktivität ist hoch im Kurs. Gefühlt bestehen die sozialen Media gerade nur noch aus virtuellen Litfaßsäulen, die im Einklang schreien „make the most of it“. Schreib dein Buch, sortiere deinen Schrank oder forme deinen Körper!!1! Der Tenor: Egal, was es ist, tu etwas! Irgendwas. Denn das ist besser als nichts tun. Nur so behältst du die Kontrolle über dich, deinen Körper und dein Leben.
Aber die ständigen Live-Streams und gut gemeinten Posts können auch sozialen Druck erzeugen. Druck das eigene Gewicht und die Form zu halten. Druck das eigene Dasein während der Krise zu optimieren. Das klingt anstrengend und auch nicht besonders gesund.
Was tut uns eigentlich gut?
Dabei ist es vollkommen okay loszulassen und einen Gang runter zu schalten. Manche von uns erleben Trauer, Wut und Angst. Psychologen raten sogar dazu Gefühlen Raum zu geben, die gerade in dieser Zeit aufkommen. Dieser Raum kann im Übrigen für jede*n anders aussehen. Deshalb ist es wichtig sich jetzt zu fragen, was uns jetzt eigentlich guttut. Dabei ist es notwendig den Bullshit-Detektor anzuwerfen und ganz genau zu hinterfragen, ob man bestimmte Dinge nur tut, weil sie gesellschaftlich erwartet werden, oder weil sie wirklich gut für uns sind.
To chill or not to chill – that’s the question
Für manche Menschen mag die Antwort tatsächlich sein sich innerhalb von vier Wochen auf Schwarzenegger-Niveau aufzupumpen, die ganze Wohnung zu renovieren, jeden Tag zu meditieren und endlich diese raw-vegan-Challenge zu machen, die sie schon so lange ausprobieren wollten. Das gibt ihnen das Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben – und vor allem den eigenen Körper – zurück. Nur um das nochmal klar zu stellen: Das ist vollkommen in Ordnung. Wenn euch das gut tut, pumpt weiter! Powert euch aus. Pusht euch, bis ihr eure Hemden mit dem Bizeps sprengt.
Andere tut es gut eine Pause einzulegen, oder zumindest das Pensum zu reduzieren.
Es ist okay, jetzt einen Gang runterzuschalten!
Sie laufen jetzt nicht plötzlich virtuelle Rennen, um den Marathon zu ersetzen, den sie geplant hatten. An dieser Stelle nochmal in aller Deutlichkeit, weil das gerade in der Öffentlichkeit etwas untergeht: Auch das ist okay! Es ist okay jetzt das Training zu reduzieren. Dafür kann es die verschiedensten Gründe geben. Man hat neben der ganztägigen Kinderbetreuung plötzlich keine Zeit mehr. Es kann auch sein, dass die Lust sich einfach pulverisiert hat. Auch das ist okay.
Es ist auch okay zu essen worauf man Lust hat – Spoiler alert: das ist immer so. Also schlechtes Gewissen abschalten und das Spätzle-Rezept von Oma, die man gerade nicht so einfach besuchen kann, nachkochen. Comfort-Food nennt sich das. Es macht ein gutes Gefühl und weckt schöne Erinnerungen. Bevor euch böse Zungen einreden, dass ihr mehr auf die Figur achten solltet: Bewegung und Ernährung sind keine Waffen, die ihr gegen den eigenen Körper richtet, um ihn zu disziplinieren. Vor allem nicht in solchen Zeiten.
In diesem Sinne: Gönnt euch was Leckeres und entspannt euch. Das steht euch am besten.