Laura Lasswell läuft wöchentlich mit Geflüchteten in Berlin. Aus Fremden sind Freund*innen geworden, denn Laufen ist eine universelle Sprache. Ein Interview über Zugehörigkeit, Jogging-Anfänge in Sandalen und Identitätsfindung durch Laufen.
Achilles Running: Hallo Laura, du läufst seit 2016 mit Menschen mit Fluchthintergrund auf dem Flugfeld des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof – wie kamst du zu der Idee?
Laura Lasswell: Der Einfall zur Laufgruppe kam mir, als ich Freiwilligenarbeit für verschiedene Flüchtlingsorganisationen leistete. Ich traf viele Geflüchtete, hörte ihre Geschichten. Zu der Zeit berichteten einige Medien sehr negativ über Geflüchtete – diese falschen Bilder konnte ich nicht akzeptieren und ich wollte nicht, dass sie sich immer weiterverbreiten. Mich haben tatsächlich Leute gefragt, ob es sicher sei, als Frau eine Laufgruppe mit männlichen Geflüchteten zu leiten. Das ist lächerlich.
“Einfach loslaufen”
Wie kann da eine Lauf-Crew helfen?
Manche sagten, wir könnten jetzt nicht mehr abends laufen gehen wegen der Geflüchteten am Flughafen Tempelhof. Das ist natürlich Quatsch. Ich wollte zeigen: Du kannst sogar MIT Geflüchteten laufen. Wir müssen einfach unsere Laufschuhe anziehen und zusammen loslaufen.
Wie liefen die ersten Läufe ab?
Das erste Treffen im April 2016 war super klein. Nachdem ich die Idee hatte, wollte ich schnell anfangen mit der Lauf-Crew. Beim ersten Mal kamen nur drei Geflüchtete, die ich schon von meiner Voluteer-Arbeit kannte. Dazu noch zwei US-Amerikaner und ein Deutscher.
“Laufen hilft, eine Identität aufzubauen”
Hattet ihr alle die gleiche Idee davon, was für euch Laufen bedeutet?
Wir hatten komplett andere Voraussetzungen und schafften erstmal nur zwei Kilometer zusammen (lacht). Aber das war voll in Ordnung für den Anfang. Ich wollte auch nicht, dass es bei der Gruppe nur um Laufen geht.
Auch das miteinander in Kontakt kommen und sprechen sollte im Vordergrund stehen. Ich wollte, dass wir alle auf einer sehr persönlichen Ebene zusammen kommen. Deshalb nahm ich immer ein bisschen Essen mit, damit wir nach dem Lauf ein Picknick machen, unsere Sprachkenntnisse testen und uns richtig kennen lernen konnten.
Warum ist dein Projekt für die Geflüchteten wichtig?
Ich habe während meiner Volunteer-Arbeit die schwierige Situation der Geflüchteten in Deutschland gesehen. Viele von ihnen durchlebten und durchleben emotionale Traumata. Sie mussten sich durch den deutschen Bürokratieapparat kämpfen und konnten oft nicht direkt mit Sprachunterricht oder einer Arbeit beginnen.
Das Leben, das sie vorher hatten, konnten sie in Deutschland nicht so einfach wiederaufbauen. Das Laufen hilft, eine neue Identität aufzubauen. Es ist etwas, das draußen stattfindet, gesund ist und worauf sie stolz sein können.
“Wir sind stark”
Wie genau kann Laufen da etwas verändern?
Laufen kann den Geflüchteten einen Teil ihrer Identität zurückgeben. Sie haben allesamt viel verloren, als sie nach Deutschland flüchten mussten und können sich auf Deutsch noch nicht so ausdrücken wie normalerweise. Durch das Laufen zeigen sie: Wir sind stark.
Die Running Crew steigert ihr Selbstwertgefühl und ihr Selbstbewusstsein. Laufen entzündet ein Feuer in ihnen und sie schaffen dadurch auch abseits der Laufstrecke die unterschiedlichsten Sachen. In unsere Crew laufen ja auch nicht nur Geflüchtete mit – da sind ein Netzwerke und Freundschaften entstanden.
Es entsteht ein Zugehörigkeitsgefühl?
Ich glaube schon. Für die Geflüchteten kamen die ersten Freunde hauptsächlich aus der Laufgruppe. Sie hatten wenig Möglichkeiten Leute kennenzulernen, besonders auch wegen der anfänglichen Sprachbarriere. Die Spielt ja aber beim Laufen keine Rolle. Wir laufen zusammen, wir lachen zusammen.
“Das Feuer der Läufer”
Wie kommuniziert ihr da eigentlich?
Wir haben mit Arabisch, Farsi, Deutsch und Englisch begonnen. Heute sprechen wir aber eigentlich nur noch Deutsch.
Aber Laufen ist eine universelle Sprache, die jede*r spricht?
Ja, durchaus. Jeder versteht, dass es anstrengend ist, wenn man mit dem Laufen anfängt. Wir müssen alle diese gleiche erste Hürde überkommen. Beim Laufen hast du auch immer neue Ziele: Das muss nicht eine noch bessere Zeit oder ein noch längerer Lauf sein. Aber dieses Feuer, das Läufer in sich tragen, bringt Leute einfach zusammen.
“Du musst nicht perfekt sein”
Was hat die Laufgruppe über die vergangenen drei Jahre in dir verändert?
Ich habe noch mehr Respekt und Stolz für die Geflüchteten entwickelt – und alles, was sie über die Jahre bewältigt haben. Das waren unglaubliche Herausforderungen, die ihnen da im Weg standen.
Ich habe auch viel über mich gelernt und mir den Mut erarbeitet, eine Gruppe anzuführen. Ich hatte ja erst ein Jahr bevor ich mit der Laufgruppe startete selbst mit dem Laufen angefangen und hinterfragte mich natürlich, ob ich die Richtige für dieses Projekt sei. Aber du musst nicht perfekt sein, um Menschen zu motivieren.
Waren ihre Geschichten nicht auch für dich ganz schöne Herausforderungen?
Ihre Geschichten sind natürlich sehr emotional. Und nur weil sie jetzt in Deutschland sind, haben ihre Sorgen nicht einfach aufgehört. Viele haben noch Familie und Freunde in Kriegsgebieten und machen sich tagein tagaus Gedanken um sie.
Beim Laufen kannst du für einen kurzen Moment die Sorgen hinter dir lassen, es macht den Kopf frei. Ich versuche, die Geflüchteten zu unterstützen, wo es geht – natürlich ist das auch nicht einfach für mich. Diese Leute sind ja aber nicht hilflos, sie brauchen einen kleinen Start-Push, damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können – und den kann ich mit der Laufgruppe vielleicht leisten.
“Beim Laufen geht’s um den Spirit”
Haben die Menschen mit Fluchthintergrund durch ihre harten Erlebnisse Eigenschaften aufgebaut, die beim Laufen helfen?
Definitiv. Ohne eine riesige Portion Mut hätten sie die Flucht aus ihren Heimatländern gar nicht angehen, geschweige denn sich hier zurecht finden können. Sie haben es geschafft, weil sie niemals die Hoffnung verlieren, niemals aufgeben, immer weiter kämpfen. Wir können uns alle extrem glücklich schätzen, das wir niemals diese Not erfahren mussten.
Was denken die Geflüchteten, die mit fast nichts ihre Heimat verlassen mussten, wenn wir hier in Deutschland immer mit den neusten Laufschuhen oder dem neusten Tech-Gear laufen wollen?
Die Geflüchteten hatten anfangs keine Laufschuhe, sondern sind mit den Schuhen gelaufen, die sie in Flüchtlingsheimen bekamen. Manche liefen mit Sandalen. Aber sie sind trotzdem gelaufen und haben sich nie beschwert. Beim Laufen geht es eben um den Spirit und nicht um die Kleidung oder das Tech-Zeug.
Wie geht’s weiter mit der Laufgruppe?
Für mich zählt nicht, welche Zeiten wir laufen, sondern, dass wir immer zusammen als Familie laufen. Dass wir uns gegenseitig unterstützen, auch außerhalb der Laufgruppe. Wir zeigen, dass Toleranz einfach viel mehr Spaß macht, als alleine Zuhause zu bleiben und sich vor dem Fremden zu fürchten.
Zur Person: Laura Lasswell ist US-Amerikanerin, kam 2012 nach Deutschland und arbeitet heute in Berlin als Beraterin. Seit 2015 läuft sie und ein Jahr später gründete sie die Tempelhof Running Crew mit Geflüchteten.
Von David Bedürftig