Wie teuer dürfen Laufschuhe sein? Das hat sich Achilles-Running-Redakteur Namri gefragt, nachdem er Laufschuhe für rund 500 Euro in den Händen hielt. Er hat sich den “Runnertune”, Made in Germany, mal genauer angeschaut.
Laufschuhe für 500 Euro – echt jetzt?
Der Adidas Marathon TR hat damals 99 D-Mark gekostet. Das Modell war mein erster Laufschuh. Natürlich trug ich ihn nicht beim Sport, sondern nur so im Alltag. Ich wurde allerdings kein Läufer, sondern ein Sneakerhead.
Im Laufe der Jahre änderten sich meine Prioritäten. Ich mutierte zum Läufer und verabschiedete mich aus dem wahnsinnigen Sneaker-Game. Trotzdem: Bis heute schlagen beide Herzen in meiner Brust.
Der “Runnertune Pace Mesh” sieht nicht aus wie der gewöhnliche Laufschuh. Er ist zurückgenommener, schlichter. Er geht fast als Halbschuh durch. Auch der Preis ist alles andere als durchschnittlich: 499 Euro kostet das Paar. Kein Scherz …
Warum zur Hölle ist der Runnertune so teuer? Was hat der Runnertune zu bieten, um diesen astronomischen Preis zu rechtfertigen?
Bequem und hässlich oder unbequem und schön?
Kurze Zwischenfrage: Womit würdest du lieber laufen: Mit einem bequemen, aber hässlichen Schuh oder einem unbequemen, aber toll aussehenden Schuh? Für jede Läuferin und jeden Läufer sollte die Antwort auf der Hand liegen.
Was aber, wenn der bequeme Schuh 499 Euro kostet? Wenn der Schuh von einer Luxusmarke à la Louis Vuitton oder Gucci wäre, könnte man das halbwegs verstehen. Aber in diesem Fall handelt es sich um Runnertune, eine Laufschuhmarke, die den wenigsten von uns bekannt sein dürfte.
Laut Statista liegt der durchschnittliche Preis im Segment “Sportschuhe” 2019 in Deutschland bei rund 48 Euro. Der Pace kostet mehr als das Zehnfache dessen. Etablierte Laufschuhmarken bieten im mittelpreisigen Segment ihre Schuhe für 100 bis 120 Euro an. Und die sind auch bequem. Weshalb sind die Runnertune-Schuhe so teuer? Und lohnt es sich für mich als Läufer, die zu kaufen?
Wer Runnertune herstellt
Runnertune ist eine deutsche Marke. Die Laufschuhe stellt die Schuhmanufaktur Hackner in Hilpoltstein in Handarbeit her. Das Modell “Pace Original” wird seit drei Jahren verkauft. Dieses Jahr sind die Modelle “Pace Pepita” und “Pace Mesh” hinzugekommen. Gemein haben die Schuhe, dass es sich um Kleinserien-Modelle handelt. Das bedeutet, dass die Schuhe in Standardgrößen über Standard-/ Serienleisten gefertigt werden.
Bei beiden neuen Modelle können die Kund*innen aus mehr als 20 unterschiedlichen Farbkombinationen wählen. Danach wird der Schuh im Auftrag für 499 Euro hergestellt. Der Pace Original ist 100 Euro günstiger, weil bei der Fertigung durch die größeren Stückzahlen Zeit und somit Kosten gespart werden.
Hinweis: Die Schuhmanufaktur Hackner war so freundlich, mir ein PR-Muster zu Testzwecken zur Verfügung zu stellen, das ich auch im Nachgang behalten darf.
Wo man die Runnertune kauft
Der Einkaufsvorgang ist online-typisch schnell erledigt. Zunächst liefert Hackner einen Karton mit sogenanntem Trittschaum. In den Schaum stellt man sich hinein, um den Fußabdruck zu nehmen.
Der Karton wird dann zusammengeklappt wieder an die Schuhmanufaktur zurückgeschickt. Dort wird der Schaum ausgemessen, um die richtige Schuhgröße auszusuchen.
Auf Wunsch und gegen 100 Euro Aufpreis kann der Trittschaum auch dazu benutzt werden, ein sogenanntes “Fitting” vorzunehmen. Dabei wird das Serienfußbett auf Grundlage des Trittschaums nochmals individualisiert, also speziell an den Fuß der Läufer*innen angepasst.
Hier kann dann auch zum Beispiel die Weite des Schuhs individuell auf die Läufer*innen angepasst werden, indem das Fußbett stärker oder schwächer angefertigt wird.
Ich habe mich für das Modell Pace Mesh entschieden in grau/ dunkelgrau. Zwei Wochen nach Rücksendung des Trittschaumkartons hielt ich den Pace in meinen Händen.
Das Überraschendste war, dass der Schuh leichter war, als ich angenommen hatte. Wegen seiner optischen Nähe zu Sport-Fashion-Schuhen hatte ich einen schweren Schuh erwartet.
Ich traue mich nicht, damit zu laufen
Es wurde mir geraten, den Schuh eine Weile einzutragen, bevor ich das erste Mal damit laufen gehe. Ich trug den Schuh eine Weile im Büro. Wie erhofft: ein äußerst bequemer Schuh. Bei diesem ersten Eindruck blieb es auch, denn es vergingen Tage um Tage, ohne dass ich mit dem Schuh laufen ging.
Ich traute mich schlichtweg nicht. Der Grund? Der Schuh bietet keinerlei konventionelle Dämpfung. Die Zwischensohle besteht aus einem Block EVA, der kaum einen Millimeter auf Druck nachgibt. Und dann war da noch die Optik.
Die Optik: zeitlos unschön
Butter bei die Fische. Ich kann es nicht beschönigen: Die Runnertune-Schuhe tun meinen Augen weh! Sie gefallen mir optisch überhaupt nicht. Das hat nichts mit Trends oder Mode zu tun, ich finde sie zeitlos unschön.
Letztlich ist das irrelevant, Hauptsache der Schuh ist bequem und verrichtet seine Arbeit beim Laufen. Aber ganz loslösen von der Optik kann ich mich dennoch nicht.
Als ich ein Bild vom Schuh auf der Achilles-Running-Facebook-Gruppe “Laufschuhfreaks” postete, zeichnete sich leider ein ähnliches Meinungsbild ab: Bis auf eine Person fanden alle anderen Kommentierenden den Schuh optisch nicht ansprechend.
Special Shoe for Special People
Darauf angesprochen entgegnete Michael Hackner, der Erfinder des Runnertune, dass der Schuh nicht für jede*n sei, sondern eine ganz spezielle Klientel ansprechen würde. Im ersten Jahr hätten sie vom Pace 200 Paar umgesetzt. Welche Stückzahlen in den Folgejahren verkauft worden sind, konnte ich nicht in Erfahrung bringen.
Seine typische Klientel sieht Hackner bei Freiberufler*innen und Selbstständigen, die schlichtes Design “Made in Germany” schätzen. Der Massenmarkt sei niemals ein Ziel für ihn gewesen.
Ich konfrontiere ihn im Gespräch: Aber was spricht dagegen, mit demselben Ansatz der Qualität und Produktion einen Schuh zu designen, den man als Sport- beziehungsweise Laufschuh wahrnimmt? Hackner hält dagegen, “Ich will das nicht, ich will individuell bleiben.”
Vielleicht sind es gerade diese Träumer*innen, die unsere Welt langfristig zu einer besseren Welt machen als die ganzen Pragmatiker*innen, zu denen ich mich (leider) auch zähle.
Kritik am Schuhmarkt
Hackner nennt als größtes Defizit im Schuhmarkt, dass die Kund*innen vorrangig durch Optik und Werbung zum Kauf animiert würden. Und gleichzeitig werden die meisten Laufschuhe in Fernost, zum Beispiel Vietnam und China unter mindestens fragwürdigen Arbeitskonditionen hergestellt.
Gut, Geschmack ist individuell unterschiedlich und Michael Hackner hat jedes Recht, seinen eigenen Laufschuh zu designen – so wie er will, und ihn preislich so einzuordnen, wie es ihm beliebt. Was ich optisch von dem Schuh halte, ist unerheblich.
Die spannendste Frage für mich als Laufschuhtester ist: “Wie läuft es sich in dem Schuh?” Da ich nur einige wenige Male mit dem Schuh gelaufen bin, würde ich mir nicht anmaßen, eine ausgiebige Kritik zum Runnertune als Laufschuh zu verfassen. Aber warum bin ich nicht öfter in dem Runnertune gelaufen?
Saubequemer Schuh – zum Gehen
Der Runnertune ist einer der bequemsten Schuhe, die ich bis jetzt getragen habe. Er ist gleichzeitig auch ein Schuh, mit dem ich nicht länger als zwei bis drei Kilometer laufen würde – zumindest nicht derzeit.
Denn ich schließe nicht aus, dass ich länger mit dem Schuh laufen könnte – wenn ich wollte. Das würde eine gewisse Umgewöhnungszeit erfordern. Ähnlich wie wenn man auf Low Drop oder Barefoot umschwenken würde. Aber nochmal: Warum habe ich das nicht getan?
Zu meinem Leidwesen gestehe ich ein, dass mir die Optik wichtiger ist, als ich ursprünglich gedacht habe. Ich will nicht nur einen bequemen Schuh, sondern auch einen optisch mindestens ansehnlichen Schuh tragen.
Letzteres ist der Runnertune in meinen Augen nicht, deshalb habe ich ihn auch nur widerwillig zum Laufen getragen, um zumindest einen ersten Eindruck vom Laufverhalten zu erhalten.
Guter Grip und gnadenlos hart
Wie erwartet ist der Schuh gnadenlos hart, von den beworbenen Dämpfungseigenschaften spüre ich nichts. Auch nach einiger Eingewöhnungszeit dürfte der Schuh aufgrund der Belastung nichts für Fersenläufer*innen sein – es ist mindestens Mittelfußeinsatz gefordert. Der Schuh sitzt gut und hält meinen Fuß auch bei höherer Geschwindigkeit gut.
Das mittelsteife Obermaterial ist meines Erachtens nicht die beste Wahl für einen Sportschuh, denn es scheuert ein wenig im Zehenbereich. Bei längeren Distanzen halte ich das für problematisch. Die Sohle besteht aus einer durchgehenden Gummierung ohne jegliches Profil. Bei Nässe allerdings ist diese Art von Sohle im Vorteil. Der Runnertune hat dann einen guten Grip.
Nachteil der Sohle ist, dass der Runnertune nicht geländetauglich ist und asphaltierte Wege erfordert. Auch leichtes Geröll oder sandähnlicher unbefestigter Boden bereiteten mir mit dem Schuh deutlich mehr Probleme, als es bei profilierteren Sohlen der Fall ist.
Für meine Begriffe sind das zu viele Kontrapunkte. Bei einem Schuh in dieser Preisklasse erwarte ich mehr.
Warum kostet der Runnertune so viel?
Positiv zu erwähnen ist: Der Schuh besteht größtenteils aus Öko-Tex-Materialien. Das Fußbett besteht aus Kork. Die Fersenkappe ist handgefertigt. Die Zwischensohle besteht aus einem einzigen EVA-Block.
Erstens kann man davon ausgehen, dass das Material und die aufwendige, handgefertigte Produktion erhebliche Kostenblöcke beim Pace darstellen.
Zweitens, gepaart mit der Produktion in Deutschland mit deutlich höheren Lohnnebenkosten als in Fernost, führt das zu höheren Produktionskosten als bei “gewöhnlich” produzierten Laufschuhen. Die Verschiffungskosten beschränken sich beim Direktvertrieb von Runnertune auf den Versand zu den Kund*innen.
Drittens: Die geringen Stückzahlen bedeuten relativ hohe Stückkosten wegen geringerer Skaleneffekte.
Marketing: David gegen Goliath
Anders stellt sich die Kostenverteilung bei den Marketingausgaben dar. Runnertune investiert laut eigener Aussage so gut wie kein Geld in die Vermarktung der Laufschuhe. Dagegen überbieten sich die großen Hersteller regelmäßig mit ihren Werbebudgets bei jedem neuen Schuhrelease.
In 2017 gab die Nike-Gruppe für Marketing 3,34 Milliarden US-Dollar aus. Das entspricht fast zehn Prozent ihres Jahresumsatzes in Höhe von fast 35 Milliarden US-Dollar (Juni 2016 bis Mai 2017). Bei adidas waren es 2,7 Milliarden Euro, was rund 13 Prozent des adidas-Gesamtumsatzes (21,2 Milliarden Euro) entspricht.
Längere Verwendungsdauer
Während ausgelatschte Laufschuhe eines Tages als Wegwerfartikel enden, können Runnertune-Schuhe je nach Bedarf repariert werden. Die Innensohle kann nachbestellt werden. Der Schuh hat theoretisch eine längere Verwendungsdauer als konventionelle Laufschuhe. Diese fristen hinterher ihr Dasein als Urlaubs- und Gartenarbeitsschuhe oder landen gleich im Müll. Das spricht für den Runnertune.
Fazit: Nicht überzeugt, aber lange beschäftigt
Der Runnertune Pace hat mich nicht überzeugt, weder modisch noch sportlich. Aber er hat mich lange beschäftigt. Nicht als Schuh, sondern als das, wofür er steht. Er verweigert sich dem Wettlauf um das höchste Werbebudget mit den krassesten Technologien und coolsten Designs.
Der Schuh ist auch eine klare Absage an ausbeuterische und die mindestens fragwürdigen Arbeitsbedingungen, unter denen viele Laufschuhe in Fernost produziert werden. Das ist nicht nur ein löblicher Ansatz, sondern vielleicht sogar ein notwendiger Gedanke hinsichtlich unserer eigenen Existenz.
Doch was mache ich mit dem Runnertune? Ich werde ihn nicht beim Sport einsetzen. Und auch nicht im Alltag. Dafür kommt die herausnehmbare Innensohle nun in einem anderen Schuh zum Einsatz.
Wenn die mal durchgetreten ist, kann man die Innensohle bei der Schuhmanufaktur für 50 Euro nachbestellen. Das würde ich durchaus in Erwägung ziehen. Vielleicht ist das sogar das sinnvollere Geschäftsmodell für den Hersteller?
Alternative: Lunge aus Meck-Pomm
Günstigere und meiner Meinung nach schönere Laufschuhe bietet Lunge aus Mecklenburg an. Hackner nennt Lunge als einzig nennenswerten Konkurrenten zum Runnertune-Konzept. Die Laufschuhe von Lunge werden ebenfalls in Deutschland hergestellt.
Lunges Anspruch an Hochwertigkeit und Herkunft wird betont, es werden Öko-Tex zertifizierte Materialien eingesetzt. Die Schuhe kosten zwischen 180 und 220 Euro.