Eldoret – dieser Name hat in der Laufszene einen besonderen Klang: Die kenianische Stadt hat zahlreiche Erfolgs-Läufer*innen hervorgebracht. Markus Rössel schreibt in seiner Reportage, warum Eldoret auch bei Sport-Tourist*innen immer beliebter wird.
Von Markus Rössel
Es ist noch kalt und dunkel. Das wärmende Licht der aufgehenden Sonne lässt sich hinter den fernen Bergzügen in intensiven Rottönen nur erahnen. Vereinzeltes Hundegebell und morgendliches Hahnengeschrei wird durch das sanfte rhythmische Trommeln von Schuhen auf rotem Sand ergänzt. Die Tage in Kenias Rift Valley District, 2400 Meter über dem Meeresspiegel, beginnen langsam, doch immer auf die gleiche Art und Weise. Im abgelegenen Hochland Kenias, zwischen den Städten Eldoret und Iten, gehören Läufer*innen zum morgendlichen Straßenbild wie der tägliche Stau zu den Großstädten dieser Welt.
Gruppen von bis zu 60 Athlet*innen machen sich auf – zu ihrer ersten Trainingseinheit. Kaum ein anderer Landstrich dieser Erde bündelt mehr professionelle Läufer*innen und solche, die es werden wollen. Kaum ein anderer Ort zieht Masse und Klasse so an wie dieser. Aus allen Teilen Kenias sowie den angrenzenden Ländern kommen junge aufstrebende Talente nach Iten.
Sie sind auf der Suche nach Manager*innen, nach Sponsor*innen, nach einem Rennen weit weg in Europa, USA oder Asien. Sie sind jung, und hungrig auf Training und Wettkampf. Die Triumphe ihrer Landsleute kennen sie seit ihrer Kindheit. Erfolg als Antrieb für viel hartes Training und Disziplin und die Bestätigung der genetischen Grundlagen der Sportler*innen aus dem Hochland Ostafrikas.
Viele versuchen ihr Glück – meist vergebens
Stars wie Paul Tergat, Martin Lel und Robert Cheruiyot haben den Weg für unzählige Kenianer*innen aufgezeigt. Aus einem Meer von Begabten wird die weltweite Dominanz stetig ausgebaut und gefestigt. Zahlreichen Eltern fällt es schwer, ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen. Die Arbeit auf der heimischen Farm ersetzt in den meisten Fällen die Schule. Besonders in den abgelegenen Gebieten ziehen es Familien vor, ihren Nachwuchs an die heimische Selbstversorgung zu gewöhnen, anstatt ihnen eine Berufs- oder Schulausbildung zu finanzieren.
Der vermeintlich schnelle Weg zum Geld motiviert viele, sich dem Laufsport zu widmen. Ob Talent oder nur unbändiger Wille vorhanden sind, wird sich schnell herausstellen. Täglich versuchen Hunderte ihr Glück – zumeist vergebens. Der Weg ist weiter und härter als viele erahnen. Neben den Camps der Manager*innen aus Übersee, in denen sich arrivierte Athlet*innen gezielt auf Rennen vorbereiten und professionelle Unterstützung finden, leben die meisten Läufer*innen in einfachsten Verhältnissen in den Hütten und Häusern der Städte.
Nur die wenigen Ausgewählten, die bei kleinen lokalen Rennen oder Schulläufen gesichtet wurden und mit Verträgen der großen Sportartikelhersteller ausgestattet sind, können sich voll auf ihr Training konzentrieren. Der hoffnungsvolle Rest trägt ausgelaufene Schuhe und Second-Hand-Sporttextilien.
Trainingsparadies Eldoret
Neben den Afrikaner*innen finden zunehmend mehr ausländische Athlet*innen den Weg in Kenias “Lauffabrik Nummer eins”. Mit den Linienfliegern aus Nairobi landen immer häufiger weiße Ausdauer-Sportler*innen auf dem kleinen Flughafen bei Eldoret. In ihrer Landessprache Swahili nennen die Einheimischen diese Gäste “Mzungus” (Hellhäutige).
Dünne Luft und zuverlässige Wetterverhältnisse locken in das Trainingsparadies 300 Kilometer von der Hauptstadt Nairobi entfernt. Nicht nur Dieter Baumann bereitete sich in Nyahururu und Iten auf die Olympischen Spiele in Barcelona vor. Viele Sportler*innen aus allen Teilen der Welt profitierten seit den frühen 1980er-Jahren von der Lage und dem Umfeld. Ein schier endloses Netz an Routen und Trainingspartner*innen überzeugt die Elite.
Gerade jetzt, ein Jahr vor den Olympischen Spielen, beziehen zahlreiche Nationalmannschaften Quartier – im 4000 Einwohner*innen zählenden Iten. In einem Gebiet, das ansonsten touristisch nur wenig erschlossen ist, und das durch die Unruhen während der Präsidentschaftswahlen 2007/2008 mit am schwersten betroffen war, sind die ausländischen Athlet*innen die wichtigste Einnahmequelle für die lokale Wirtschaft.
Iten bietet mit seinen Hotels und Pensionen einen idealen Standpunkt für Elite-Läufer*innen und urlaubende Jogging-Tourist*innen. Eine Unterkunft zu finden, war vor Jahren noch ein Leichtes. Heute muss man Monate im Voraus reservieren, um sich hier sein Bett zu sichern. Reiseveranstalter*innen locken mittlerweile mit Pauschalangeboten und dem Motto “Feeling Kenia”: Einmal richtig nahe dran sein – an den Stars der Szene.
Der amtierende Marathon-Weltmeister Abel Kirui sagt: “Ich brauche viel Konzentration, Ruhe und das volle Engagement für mein Training. Ich bin bereit, diese Opfer zu bringen, um meine Ziele zu erreichen.” Seit Jahren sind sie dieses einfache Leben gewohnt. Tag ein, Tag aus. Der Rummel, den die Sportler*innen sonst nur von den großen Rennen in Übersee gewohnt sind, kommt nun zu ihnen nach Hause. Das birgt Risiken und veranlasst einige, die “Jogger*innen mit Sonnenbrand” kritisch zu sehen.
Die berühmte St. Patrick’s High School im Herzen Itens – Ausbildungsstätte von vielen Stars wie Peter Rono, Wilson Kipketer, Isaac Songok, Matthew Birir und David Rudisha – hat ihre Tore inzwischen für Besucher*innen geschlossen. Um die Athlet*innen für die Wettkämpfe so wenig wie möglich abzulenken, wurde der Wachdienst erhöht und das wuchtige Eingangstor bleibt verriegelt.
Der Fokus auf das Wesentliche, dem Training, wird so sichergestellt. Klar strukturierte Vorgaben mit immer gleichem Ablauf, sind der Schlüssel zum Erfolg. Mit bis zu drei Einheiten täglich, viel Ruhe und Schlaf, werden Siege vorbereitet. Bis auf Sonntag, den traditionellen Ruhetag für viele Läufer*innen, hat das Training und die Pflege des Körpers oberste Priorität.
Nicht wie im Pauschalurlaub
Der Rhythmus wird vom Training bestimmt, die vorhandene Zeit optimal zur Regeneration genutzt. Während der Einheiten herrscht totale Ruhe. Alle Kraft wird gebündelt auf das Wesentliche – das Laufen. Geredet und gelacht wird beim abschließenden umfangreichen Dehnen. Tourist*innen auf der Suche nach Bildern und Autogrammen sind hier fehl am Platz.
“Wenn ich trainiere, konzentriere ich mich. Musik höre ich, wenn ich mich entspanne”, sagt John Kemboi, fünftschnellster Mann über 3000 Meter im vergangenen Jahr. Laufgruppen, die oben ohne und mit Kopfhörer im Ohr mehr als die Hälfte der Straße einnehmen und neben Läufer*innen auch noch den Verkehr behindern, finden bei einheimischen Sportler*innen wenig Gegenliebe.
Kenianer*innen sind stolz auf ihr Land und teilen es gerne mit Besucher*innen. Doch mit einem Pauschalurlaub auf den Kanaren oder dem alljährlichen Trainingslager auf den Balearen ist Kenia nicht zu vergleichen.
Training auf weichem, rotem Sand
Respekt für die einheimische Kultur und der Umgang mit Spitzen-Athlet*innen fordern Fingerspitzengefühl von jeder*m, die*der sich auf die lange Reise macht: Nancy Chepkwemoi, Bronzemedaillen-Gewinnerin über 1500 Meter bei den letztjährigen Leichtathletik-Juniorenweltmeisterschaften, sagt: “Wir freuen uns über jeden Besucher in Kenia. Wir wollen Freunde gewinnen, die wir auf unseren Reisen zu Wettkämpfen erneut treffen.” Wenn die Sonne den eindrucksvollen Rift Valley erwärmt, gibt es auf dieser Erde nichts Schöneres, als auf den weichen, roten Sandstraßen den Tag zu begrüßen.
Urlaub und Training in Kenia schenken allen Besucher*innen unvergessliche, intensive Momente, die mehr als eine Saison anhalten und motivieren. Diese Geschenke gilt es zu schätzen und zu respektieren. Die Einheimischen werden es mit ihrer freundlichen Art danken und jedem*r Besucher*in wird es schwerfallen, dieses Läufer*innen-Paradies wieder zu verlassen.