Fett, so sagt schon das Wort, macht fett. Also lieber weglassen – und schon nimmt man nicht mehr zu. “Quatsch”, sagt Nicolai Worm. Der Ernährungswissenschaftler behauptet: “Fette helfen uns, gesund, fit und schlank zu bleiben.”
Achilles Running:* Herr Worm, jahrelang haben wir eingebläut bekommen: “Fett macht dick und krank.” Sie sagen: “Stimmt nicht.” Wie kommen Sie darauf?
Nicolai Worm: Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür. Das waren immer nur Annahmen. Wirkliche Beweise gibt es nicht. Dutzende Langzeitstudien zeigen vielmehr: Mit höheren Fettanteilen in der Kost steigt weder das Risiko für Übergewicht noch für unsere typischen Zivilisationskrankheiten.
Man bedenke: Fette enthalten lebenswichtige Nährstoffe und sind entscheidend für die Regulation des Blutdrucks. Außerdem ist Fett ein wichtiger Energielieferant.
Aber sorgt Fett nicht für Herzinfarkte?
Die Fettzufuhr und Herzinfarkte haben nichts miteinander zu tun. Das ist das, was die Datenlage bis heute aufweist. Es ist ein Trugschluss, dass Fett fett macht. Mit mehr Fett sind wir satter und zufriedener – allerdings müssen wir dann bei den wertlosen Kalorienträgern gegensteuern.
Wenn die Datenlage so klar ist. Warum ist es trotzdem so schwer, die Verbraucher*innen vom Gegenteil zu überzeugen?
Hier kommen wir in irrationale Bereiche. Fett als Begriff hat einen negativen Touch. Fett ist das, was man nicht gerne am Körper hat; das Schwein ist fett. Man kann sich das bildlich so gut vorstellen: Wie das Fett die Adern verstopft …
Außerdem ist eins unbestritten: Ein Gramm Fett hat mehr als doppelt so viel Energie wie ein Gramm Eiweiß. Das war auch immer die gängige Meinung: Man spart Fett, dann spart man auch Kalorien. Und genau das Gegenteil ist passiert.
Inwiefern?
Das Phänomenale ist: Der Fettanteil in unserer Ernährung nimmt seit circa 30, 40 Jahren ab; die Leute aber werden immer dicker, weil sie mit dieser Ernährungsumstellung sogar mehr Kalorien aufgenommen haben und nehmen.
Da ist es doch mal an der Zeit, darauf aufmerksam zu machen, dass offenbar nicht das Fett für das Übergewicht verantwortlich ist.
“Zucker und Stärke braucht der Körper in keiner Sekunde”
Viele Verbraucher*innen sind verunsichert. Wie soll man denn nun mit Fett umgehen?
Ich würde versuchen, die Fettangst aus dem Kopf zu bekommen und anfangen, die wertlosen Kalorien einzusparen: Weißmehl, Stärke und Zucker. Da ist nichts drin, was der Körper benötigt. Im Fett dagegen sind essentielle Bestandteile drin.
Zucker und Stärke braucht der Körper in keiner Sekunde im Leben, das kann er alles selber herstellen.
Das heißt, die Schuld liegt jetzt bei Stärke und Zucker. Sind das die wahren Dickmacher?
Schauen Sie mal: Die Deutschen trinken am Tag circa 200 bis 300 Kilokalorien gesüßte Getränke. Wenn sie nur die Hälfte davon einsparen, würden die Menschen theoretisch nicht mehr übergewichtig werden.
Es sind ja nur etwa 150 Kilokalorien, die wir am Tag im Durchschnitt zu viel essen. Es ist doch Wahnsinn, dass die Deutschen gegen den Durst 200 bis 300 Kilokalorien trinken.
Ich rede nicht von Sportler*innen, sondern von den Durchschnittsbürger*innen. Irrsinn! Das ist reiner Zucker, den braucht kein Mensch. Und wenn man dann auch noch an den ganzen süßen Knusper- und Knisterkram denkt! Diese wertlosen Kalorienbomben braucht auch kein Mensch.
Eine Woche kein Haushaltszucker
Müssen Sportler*innen anders mit Fett umgehen als Durchschnittsbürger*innen?
Im Hobbysport kann mehr Fett im Austausch gegen Kohlenhydrate für mehr Gesundheit ohne Leistungsdefizit sorgen. Im Leistungssport kommt es auf die Belastungsart und -intensität an.
Im Ausdauersport beispielsweise hilft Training mit Low-Carb, also eine Reduzierung der Kohlenhydrate, den Fettstoffwechsel zu optimieren. Der Körper lernt mit der Zeit, höhere Leistungen auch noch mit Fettverbrennung zu erreichen. Dadurch spart man Glykogenreserven für Maximalbelastungen.
“Wir sind traditionell eine Brot und Kartoffel essende Nation”
Also kann man ruhig so viel Pommes essen, wie man möchte?
So platt ist es natürlich nicht. Aber man kann die Ernährung so umstellen, dass man mehr Fett zu sich nimmt, mehr isst – und trotzdem nicht zunimmt. Die meisten Menschen schrecken zurück, wenn sie hören, dass der Fettanteil des Essens bei 50 Prozent liegt.
Völlig unbegründet. Das Entscheidende ist die Kombination der Lebensmittel. Mein Plädoyer ist: Weg von den stärke- und zuckerhaltigen Lebensmitteln, hin zu Gemüse, Salat und Obst als Sättigungsgrundlage. Dann haben sie extrem wenig Kalorien bis zur Sättigung, weil sie über diese Nahrungsmittel fast nur Wasser und Ballaststoffe zu sich nehmen.
Wie sollte man Ihrer Meinung nach seine Ernährung umstellen?
Weg vom Kalorienzählen und von Uhrzeiten. Lernen, mit Hunger und Sättigung umzugehen – das kann der Körper eigentlich.
Es ist ganz simpel: Nur die Lebensmittel essen, die wertvoll sind und wichtige Nährstoffe liefern: Vitamine, Spurenelemente, Mineralstoffe, ungesättigte Fettsäuren, Aminosäuren. Und die weglassen, die uns nichts liefern.
Statt zu viel Semmeln, Baguettes, Croissants und Weißmehlprodukten in der Früh, lieber ein kleines Stück Vollkornbrot, und viel mehr Quark, Tomaten, Gurken oder ähnliches.
Also, nichts Dramatisches. Und trotzdem fällt den Menschen die Umstellung schwer.
Wir sind nun mal traditionell eine Brot und Kartoffel essende Nation. Früher war es unglaublich teuer, sich hochwertige Nahrung zu leisten, aber Kalorien hat man gebraucht, weil man körperlich hart arbeiten musste.
Heute haben wir genügend Geld und andere Prioritäten, aber die Tradition ist noch da. Ich sage immer: Wer traditionell essen will, muss auch traditionell leben. Also weg mit der Fernbedienung, runter vom Sofa, keine Fahrstühle mehr, zu Fuß zum Job, körperliche Arbeit.
Aber heutzutage tanken 90 Prozent der Bürger so viele Kohlenhydrate, wie sie Spitzensportler*innen für Höchstleistungen benötigen. Das ist Treibstoff, den sie nie benötigen. Also: Wer modern leben will, muss auch modern essen.
Zur Person: Nicolai Worm ist Ernährungswissenschaftler und Buchautor. Er beteiligt sich seit über 30 Jahren an der Fettdiskussion und hat die LOGI-Methode erfunden – eine Ernährungsweise zur Prävention und Therapie von Übergewicht. Seit 2009 ist er Professor für Ernährungswissenschaften an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement.
*Um die Antworten des Interviewpartners nicht zu verfälschen, wurden lediglich die Fragen gegendert.