Im Büro hat der Rücken automatisch verloren, denken viele. Stimmt das? Die 10 gängigsten Schmerz-Mythen im Check.
Sitzen ist das neue Rauchen, Stehtische machen alles besser: Viele Büroarbeiter*innen leiden unter Rückenschmerzen – und haben genaue Vorstellungen, was helfen würde. Welche Behauptungen stimmen?
Wir haben Ingo Froböse gefragt, der an der Deutschen Sporthochschule Köln das Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung leitet. In seinem Faktencheck entlarvt er nicht nur Mythen, sondern gibt auch Tipps fürs Büro.
These 1: Rückenschmerzen entstehen bloß, weil wir zu viel und falsch im Büro hocken.
Froböse: “Nein, das Büro allein ist für Rückenschmerzen nicht verantwortlich. Wir bewegen uns allgemein zu wenig und haben keine vernünftigen Kompensationen zum Büroalltag, zu wenige Unterbrechungen. Würden wir uns neben dem Sitzen im Büro vernünftig bewegen, wäre das alles nicht so schlimm. Aber wir sitzen morgens am Frühstückstisch, dann im Auto, im Büro und abends vorm Fernseher.”
Übrigens werden Büroarbeiter*innen insgesamt seltener von Rückenschmerzen geplagt, als Menschen in körperlich anstrengenden Berufen, wie etwa Maurer*innen, Bauarbeiter*innen oder Altenpfleger*innen.
These 2: Sitzen ist das neue Rauchen.
Froböse: “Stimmt. Inaktivität wie Sitzen führt dazu, dass sich innere Organe verändern. Die Muskeln sind nicht mehr ausreichend durchblutet und schwinden. Der Stoffwechsel rauscht in den Keller, das Herz schlägt zu ruhig, die Blutgefäße werden nicht mehr entsprechend elastisch gehalten. Die Probleme, die durch das Sitzen kommen, sind vielleicht sogar noch schlimmer als durchs Rauchen.”
These 3: Rauf- und runterfahrbare Stehtische sind die Wunderheilung gegen Rückenschmerzen und verbrennen nebenbei sogar noch Kalorien.
Froböse: “Sitze ich eine Stunde, verbrenne ich ein Gramm Fett. Beim Stehen bis zu drei. Aber nur still stehen geht auch nicht. Das Blut versackt, und gerade das Herz-Kreislauf-System kann viele Probleme bekommen.”
These 4: Die Mischung macht’s im Büro: Ein Mix aus Sitzen und Stehen.
Froböse: “Richtig. Auch die Beine mal hochzulegen, ist ratsam. Ich sollte immer dynamisch und variabel sitzen. Die nächste Sitzposition ist die beste. Und ich muss auf die Signale des Körpers achten und mich beim Sitzen und Stehen aktiv betätigen.”
These 5: Walking-Meetings sind die Lösung: Ich bewege meinen Körper, der Kopf ist frei, und die Ideen fließen.
Froböse: “Die Bewegung hilft gegen Rückenschmerzen. Und wird das Gehirn besser durchblutet und mit Sauerstoff versorgt, ist man kreativer und innovativer. Bewegte Meetings halte ich für ausgesprochen gut.”
These 6: Gummi-Sitzbälle sind der optimale Ersatz für Bürostühle.
Froböse: “Nein, so ein Ball ist immer noch ein Trainingsgerät und kein Sitzmöbel. Die Muskulatur ist mit einer längerfristigen Beanspruchung auf einem Sitzball komplett überfordert. Das ist genauso schlecht wie eine Unterforderung. Nur für eine 15- bis 30-minütige Trainingseinheit zwischendurch sind die Bälle gut.”
These 7: Vom Arbeitgeber*in angebotene Pilates-Kurse in der Mittagspause vermindern Krankmeldungen wegen Rückenschmerzen.
Froböse: “Leider gehen immer nur die zu den Kursen, die eh schon fit sind. Man sollte lieber viel mehr Bewegungsräume im Alltag ermöglichen: Nicht Menschen in Bewegung bringen, sondern die Bewegung zu den Menschen. Fitnessparkplätze, die möglichst weit weg sind, müssten belohnt, Treppenhäuser attraktiver und mit Inhalten gestaltet, Fahrstühle langsamer gemacht und der E-Mail-Verkehr innerhalb des Büros müsste verhindert werden. Diese Maßnahmen würden auch inaktive Menschen aktivieren.”
These 8: Ein Powerschlaf in der Mittagspause ist förderlich für Geist und Körper.
Froböse: “Tiefschlaf ist nicht gut, dösen aber schon. Powernaps von 15 bis 20 Minuten entspannen den Körper und machen wieder kreativ. Eine Pause, die auch die Sorgen wegpustet, ist entscheidend am Arbeitsplatz.”
These 9: Ein hoher Prozentanteil der Rückenschmerzen ist in unserer Leistungsgesellschaft stressbedingt.
Froböse: “Stimmt. Stress wirkt auf den Rücken. Nicht umsonst tragen wir unsere Sorgen auf den Schultern. Deshalb brauchen wir Pausen, Bewegung und Regeneration. Aber nicht nur am Arbeitsplatz, sondern im gesamten Alltag.”
These 10: Gegen Rückenschmerzen im Büro gibt es keinen einfachen Geheimtipp.
Froböse: “Meine Lieblingsübung dauert nur 30 Sekunden und sieht so aus: Ich setze mich auf die Stuhlkante, weit weg vom Tisch, Oberkörper aufrecht, die Arme angelegt. Dann winkle die Unterarme 90 Grad im Ellbogengelenk an und hacke mit ihnen immer abwechselnd wie beim Zwiebelschneiden. Hoch runter, hoch runter. Man merkt es anfangs nicht, aber die Übung ist wie eine Vollkaskoversicherung für den Rücken.”