Fit werden mit knapp 30 Minuten Aufwand pro Woche – das verspricht das EMS-Training. Die Studios boomen und es gibt auch mobile Geräte für Zuhause und unterwegs. Achilles-Running-Redakteurin Ellen-Jane Austin hat eines getestet.
Mit nassen Elektroden am Körper stehe ich in meinem Zimmer und bin kurz davor, den Knopf zu drücken, der Strom durch meinen Körper jagt. Theoretisch weiß ich, dass mir dabei nichts Schlimmes passiert. Ich habe es ja schon mal gemacht. Aber unter Anleitung einer Expertin, in einem der vielen EMS-Studios (EMS steht für Elektromyostimulation), die in den letzten Jahren in Deutschland eröffnet haben.
Das EMS-Ganzkörpertraining verspricht nichts geringeres, als ratzfatz abzunehmen und Muskeln aufzubauen. 15 Minuten Training sollen etwa 20 Stunden Muskeltraining im herkömmlichen Fitness-Studio entsprechen. Dank des mobilen Geräts muss man nicht mal ins Studio gehen, sondern kann zu Hause oder auf Reisen trainieren.
Klingt wie etwas, das man nachts um 3 Uhr beim Tele-Shopping bestellen würde? Zu gut, um wahr zu sein? Ja, vielleicht. Sogar ganz sicher, wenn man weiß, dass man sich dafür unter Strom setzt.
Seit gut 50 Jahren in der Reha
Das große Aber: Es scheint zu funktionieren. Zumindest, wenn man kleinen Studien der Uni Nürnberg Glauben schenkt. Diese besagen unter anderem, dass das EMS-Training bei trainierten und untrainierten Personen Muskeln und Kraft rasch wachsen lässt.
Tatsächlich ist EMS unter Physiotherapeut*innen altbekannt. Seit gut 50 Jahren werden die elektrischen Impulse eingesetzt, um nach Verletzungen gezielt einzelne Muskeln aufzubauen. Schon in den siebziger Jahren nutzten Sport-Stars wie Muhammad Ali und Franz Beckenbauer die Technologie.
So funktioniert es: Stromstöße stimulieren die Skelettmuskeln, sodass sich diese zusammenziehen. Beim Ganzkörper-EMS-Training werden fast alle Muskelgruppen gleichzeitig stimuliert – Ausnahme: die Muskeln der inneren Organe und die Gesichtsmuskeln.
So entsteht ein Training fast ohne Bewegung, der Strom macht die Hauptarbeit. Ein Vorteil: Die Gelenke werden nicht belastet.
Nur von Elektroden und dem Schlüpper bedeckt
Beim Probetraining im Studio trage ich eine kurze schwarze Hose und ein schwarzes Oberteil. Zu Hause, geschützt vor fremden Augen, soll ich die Elektroden komplett unbekleidet anlegen – dann kann der Strom besser fließen. Das ergibt Sinn, zumal die Gurte und Elektroden tatsächlich sehr viel bedecken. Den Schlüpper lasse ich trotzdem an.
Die in Schwarz und Blau gehaltene Trainingsmontur besteht aus einem BH mit Elektroden für die Brust- und Rückenmuskulatur, einem Gurt für die Hintern- und Bauchpartien sowie jeweils einem Gurt für Arme und Beine.
Die Elektroden sind nass – auch das hilft dem Strom beim Fließen. An jeder Elektrode hängen rote und schwarze Kabel, die wiederum mit dem mobilen Trainingsgerät verbunden sind, das auf meiner Kommode steht.
Intervalltraining mal anders – im Vier-Sekunden-Takt
Obwohl ich durch das Probetraining weiß, was gleich passiert: Ich bin nervös. Nach kurzem Zögern gehe ich in die Trainingsposition, die mir bei der Einführung gezeigt wurde (leichte Hocke und die Arme im 90-Grad-Winkel angehoben; mit geschlossenen Fäusten – recht simpel, ich glaube, da kann ich nichts falsch machen). Dann: Power an!
Schon fährt der Strom durch meinen Körper. Und ich denke: Da vibriert ein Handy unter meiner Haut. Es ist wie das radikale Durchschütteln, das die Pre-Farbdisplay-Nokias der frühen 2000er Jahre auslösten. Die Geräte, bei denen der Klingelton leiser war als der Klang der Vibration auf einem Tisch. Nach vier Sekunden ist der Spuk vorbei. Es folgen vier Sekunden Pause und dann geht der Spaß von vorne los. So läuft das jetzt eine Viertelstunde.
Nach dem kurzen Training bin ich schweißgebadet, obwohl ich mich kaum bewegt habe. Hätte mich jemand beobachtet, wäre sie*er sicher nicht auf die Idee gekommen, dass ich Sport treibe. Alle paar Sekunden eine Pose einnehmen, das kann doch nicht anstrengend sein, denkt man. Ich weiß jetzt: Oh doch, das kann es. Und Muskelkater gibt es am Folgetag auch.
Tatsächlich, mein Bauch wird flacher
Die nächsten Wochen lege ich mir eine Strategie zurecht, um das Training durchzuziehen. Die Gilmore Girls und diverse Streaming-Dienste sind mir hierbei eine große Hilfe. Ich brauche Ablenkung, denn ein wenig grusele ich mich vor der Fremdeinwirkung.
Wenn ich sonst Sport treibe, bin ich es, die den Körper durch Bewegung belastet. Beim EMS-Training drehe ich an einem Knopf und die Maschine erledigt das für mich. Aus Sorge vor Überbeanspruchung meiner Muskulatur bin ich sehr zögerlich in der Steigerung der Trainingsintensität, die sich auf dem Gerät einstellen lässt.
Doch tatsächlich: Bei nur zwei Trainingseinheiten pro Woche verliere ich innerhalb von rund zwei Monaten ziemlich schnell ein paar Kilo. Der für mich phänomenalste Effekt: Mein Bauch wird flacher. Was ich mit keinem anderen Work-out zuvor hinbekommen hatte, klappt plötzlich.
Mein Lieblingssport wird EMS-Training dennoch nicht. Ich bin einfach Läuferin. Ausdauertraining macht mir mehr Spaß als Krafttraining. Ich weiß, ich sollte mehr für meinen Muskelaufbau tun. Aber kein Trainingserfolg, egal wie schnell erzielt, wird mir jemals die Glücksgefühle bescheren, die ich bekomme, wenn meine Füße über den Waldweg wirbeln und ich nach dem Lauf mit hochroter Birne und stolz pochendem Herz zu Hause ankomme.
Man sollte sich mit den Risiken beschäftigen
Würde ich das EMS-Training weiterempfehlen? Ja, wenn die Rahmenbedingungen passen und man sich mit den Risiken beschäftigt hat. Es sind Fälle bekannt, bei denen die Methode zu starken Kreislaufproblemen geführt hat. Ich denke, das EMS-Training ist geeignet für zielorientierte Menschen, die schnell Fett abnehmen oder Muskelmasse aufbauen wollen. Nicht empfohlen wird EMS-Training für Schwangere, Menschen mit Herzschrittmachern oder Epilepsie.
Ich fand es sehr angenehm, das Workout ohne Zuschauer*innen machen zu können, und flexibel in meinen Alltag zu integrieren. Ich habe das Gerät sogar zweimal auf Reisen benutzt – problemlos. Wichtig, wenn man nicht betreut in einem Studio trainiert, ist eine ausführliche Einweisung in die Trainingsmethode und das Gerät.
Flexibilität hat ihren Preis
Eine Mitgliedschaft in einem EMS-Studio gibt es meist ab 80 Euro monatlich; mit einem fest zu vereinbarenden Trainingstermin pro Woche. Bei einem 24-Monats-Vertrag kommen so rund 2.000 Euro zusammen – An- und Abreisekosten nicht mit eingerechnet. Das getestete Heimgerät inklusive der Elektroden kostet etwa 4.390 Euro.
Somit würde sich das Gerät nach circa 4,3 Jahren rechnen. Allerdings kann man bis zu zwei Trainingseinheiten wöchentlich absolvieren – dann trainiert man nach rund 2,9 Jahren quasi kostenfrei.