Tausende Freizeit-Läufer*innen trainieren derzeit für das absolute Highlight der Saison: den Berlin-Marathon. Lauftrainer Piet Könnicke steht euch mit Tipps und Tricks zur Seite. Jeden Dienstag in dieser Kolumne.
Trainings-Tagebucheintrag, vergangener Freitag
* “22 Kilometer am frühen Morgen, geniales Laufwetter – bedeckt, etwas Wind und manchmal ganz leichter Nieselregen. Es war perfekt. Da ich mich super locker gefühlt habe, bin ich schooon wieder zu schnell gelaufen, aber es war zu keiner Zeit anstrengend, obwohl ich vor dem Lauf nur eine Banane gegessen habe. Langsam krieg ich richtig Bock auf Berlin! Da lacht das Trainer-Herz. Was kann man sich Besseres wünschen als Athleten, die gut in Form sind und sich auf den bevorstehenden Marathon freuen. Aber es gehen auch die Warnleuchten an. ‘Jetzt bloß nicht übertreiben und überziehen’, ist eine Warnung, die neben lobenden Worten in der Trainerspalte des Klemmbretts steht. Die andere lautet: Aufpassen, dass du jetzt nicht krank wirst!”
Gutes Training ist die halbe Miete
Wer gut trainiert hat und ohne größere Probleme durch die Marathon-Vorbereitung gekommen ist, spürt in diesen Tagen, wie die Form so langsam wächst. Man kann um zwei Uhr nachts geweckt und angeordnet werden, einen Kilometer in fünf Minuten zu laufen und es klappt – so oft hat man das inzwischen geübt.
15 Kilometer lange Dauerläufe scheinen wie im Flug zu vergehen, weil man in den vergangenen Wochen ja sogar doppelt so lange Einheiten gemacht hat. Man hat also Tempo und Strecke im Griff und es rollt. Doch Vorsicht: Wer sich dem verlockenden Gefühl dauerhaft hingibt und permanent zu schnell läuft, riskiert zu früh topfit zu sein! Ich kenne das aus eigener Erfahrung …
Ich bin einmal während einer Marathon-Vorbereitung so gut in Form gekommen, dass ich in den letzten drei Wochen einfach nicht die Bremse gefunden habe – die muss man mehr im Kopf als in den Beinen suchen. Ich ließ es rollen, wusste, dass ich viel zu schnell unterwegs war und hoffte, dass es keine bösen Folgen habe würde.
Also testete ich bei der nächsten Einheit wieder, ob es noch immer lief – hielt also wieder drauf. Klar, dass dieses Spielchen schwer gut gehen konnte. Schon gar nicht in einer Phase, in der die Kurve von Be- und Entlastung immer welliger werden sollte. Das Ende vom Lied: Ich lief mein Marathon-Rennen quasi zwei Wochen zu früh – im Training. In Berlin stieg ich aus.
Das Gefühl der aufkommenden Stärke ist schön und gefährlich zugleich. Wenn man mit jedem Tag spürt, dass die Lunge aufgetankt ist, die Beine sich immer besser anfühlen, wenn auch die letzten schweren Trainingseinheiten gut gelaufen sind – dann neigt man bei aller Euphorie auch zum Leichtsinn.
Man vergisst, dass das Immunsystem durch die hohen Belastungen der vergangenen Wochen anfällig ist. Die Verteidigungskräfte, die Infekte abwehren, sind müde, weil sie zur Mobilmachung an die Lauffront abkommandiert wurden. Daher gilt es, in den nächsten Wochen besonders aufmerksam zu sein und Angriffspunkte auszuspähen.
Der Feind lauert überall: in der U-Bahn, im Café, im Büro, im Kino, in der Umkleidekabine … Klimaanlagen sind die reinste feindliche Artillerie, ein fehlendes trockenes T-Shirt nach dem Training absolute Sabotage. Ein Handschlag des niesenden Kollegen, der niesenden Kollegin kann “tödlich” sein, während am späten Abend ein Halstuch oder eine Mütze “Leben retten” kann. Modebewusste Zeitgenoss*innen und Anti-Terror-Beauftragte werden vielleicht argwöhnen, wenn sie uns Verhüllte und Zugeknöpfte sehen. Uns ist aber eher wichtig, in Berlin unterm Brandenburger Tor gut auszusehen.
*Um die Aussagen des Tagebucheintrages nicht zu verfälschen, wird dieser nicht “gegendert”.