Vor über zehn Jahren gründeten die Brüder Lars und Ulf Lunge ihre eigene Firma. Seither ist die Lunge Schuhmanufaktur zu einem mittelständischen Unternehmen herangewachsen, das als eines der wenigen in Deutschland produziert und Nachhaltigkeit von Beginn an auf der Agenda hat. Über eine Stippvisite in Mecklenburg-Vorpommern, ein geschichtsträchtiges Gebäude und den Anspruch, die umweltverträglichsten Schuhe der Branche herzustellen.
Eine Reise mit dem Zug nach Düssin in Mecklenburg-Vorpommern kann etwa eineinhalb Stunden nach Abfahrt in Berlin mit so ziemlich allen Klischees behaftet sein, die einem spontan einfallen. Verschlafenes Nest, Niemandsland, Einöde, in der alles langsamer läuft – oder eben gar nicht. Wer von der Hauptstadt aus in Richtung Hamburg fährt, nimmt den Teil dazwischen meistens nur durch das Zugfenster wahr. Blühende Landschaften wurden hier einst versprochen. Darüber hinaus, nicht viel mehr. Immer mal wieder erscheinen einige Häuser, Dörfer, Kühe oder eine Kombination daraus.
Der Zug rauscht auch am ehemaligen Kuhstall vorbei, der unweit von der Bahntrasse entfernt im morgendlichen Sonnenlicht liegt und seit circa zehn Jahren als Schuh-Manufaktur dient. Halten wird der Zug hier nicht. Es solle doch, wenn möglich, früh angereist werden, denn die Produktion, so Mitbegründer Lars Lunge, mache gegen Nachmittag Schluss. Und da eine Führung durch die Produktionsräume verabredet war, wurde eben der Zug um sieben Uhr genommen.
In Brahlstorf, der letzten Station der Hinfahrt, erstreckt sich ein überschaubarer Parkplatz direkt neben den Schienen. Einige Häuser säumen die Haltestelle, die so spartanisch hergerichtet ist, dass „Bahnhof“ irgendwie unpassend wirkt. Ländlicher Charme, vor allem um kurz vor 12 Uhr. Wer nun aufgepasst hat und sich fragt, ob eine Anfahrt von Berlin nach Brahlstorf/Düssin tatsächlich vier Stunden dauere, dem sei versichert, dass es nur am Autor lag. Das unfreiwillige aber doch selbst verschuldete verpassen des Anschlusszugs in Büchen führte zu einem 90-minütigen Intermezzo am Zwischenstopp.
Angekommen bei Lunge
Gewohnt nordisch locker wartet Lars Lunge am vereinbarten Treffpunkt in Brahlstorf. „Na, endlich geschafft“, begrüßt der Unternehmer beim Einstieg ins Auto mit einem Grinsen. „Ist nicht ganz leicht herzufinden.“ Der Mitgründer der Lunge GmbH trägt T-Shirt und Shorts, eine kurze Frisur und runde Brille mit dezentem Metallgestell. Dazu hellbraune Sneaker, Marke Lunge. Ihm ist der Sport anzusehen. Er wirkt trainiert, seine Haut ist braungebrannt von der Sonne. Vor einem Jahrzehnt gründeten sein Bruder Ulf und er das Unternehmen. Beide sind passionierte Läufer seit den 70ern. „Damals sind ein paar Verrückte durch den Wald gelaufen. Heute wird der Sport ganz anders aufgezogen“, sagt Lars.
Die Autofahrt verfliegt im Vergleich zur Wartezeit in Büchen, dank munterer Plauderei, wie im Flug. Szenisch wird nach wenigen Minuten die Zufahrt zur Manufaktur erreicht. Das Gebäude liegt herrschaftlich am Fuß der Straße. Dahinter fährt auf bekannter Bahntrasse der nächste Zug Richtung Hamburg. Früher, zu Kaisers Zeiten, so Lars, hielt eine kleine Bahn sogar hier in Düssin. Der ehemalige Kuhstall versorgte Hamburg mit Milch. Die schweren Kannen wurden auf einen kleinen Zug gesetzt und zum nächstgelegenen, größeren Bahnhof transportiert. Von da ging es dann in die Hansestadt. „Unsere Schuhe werden von der DHL abgeholt“, fügt Lars trocken hinzu.
Die Auseinandersetzung mit der Geschichte dieses Ortes zeigt, wie wichtig den neuen Hausherren das längst Vergangene ist. „Als wir damals auf dieses Gebäude gestoßen sind, wussten wir noch gar nicht so richtig, wie wir es schlussendlich nutzen werden. Wir wussten nur, dass es uns in seinen Bann gezogen hat und wir hier etwas aufbauen wollen“, so der Hamburger. Das 120 Meter lange Gebäude wurde 1913 ebenfalls von einem Hamburger Unternehmer gebaut. Mit den drei Stockwerken, dem dunklen Ziegelstein und dem Turm in der Mitte nimmt es Vorbild am Hamburger Michel. 20.000 Euro bezahlten die Brüder damals für den 6600 Quadratmeter Bau, der in keinem guten Zustand war. Der Umbau hat mehrere Millionen gekostet. „Doch das Amt für Denkmalschutz ist sehr zufrieden mit uns. Wir haben so viel erhalten, wie irgend möglich und hätten gern noch mehr vom ursprünglichen Charme übernommen.“
Für einen Moment hält Lars Lunge inne, als gehe er das vergangene Jahrzehnt im Kopf noch mal ab. Circa 30 Meter rechts vom Haupteingang öffnet sich eine gläserne Flügeltür und zwei Mitarbeiter treten zur Pause auf das Gras heraus, das sich direkt vor dem Altbau weit erstreckt. „Das ist Teil der Produktion, da gehen wir dann auch durch“, zeigt Lars in die Richtung der offenen Tür.
Das Foyer ist mehr Aufenthaltsraum, als feudaler Empfangsbereich. Bierzeltgarnituren, ein Tresen und etwas Werbematerial füllen den Raum aus. Rechts führt eine Treppe nach oben, zu allen Seiten sind Türen in die anderen Bereiche des Hauses. Im zweiten Stock befindet sich ein riesiger Dachboden, der Kreativzone, Meetingraum und Abstellkammer für Testmodelle zugleich ist. Schuhe in unterschiedlichen Farbkombinationen türmen sich auf einem langen Tisch. Rechts davon ein Arbeitsplatz mit Mac, Kaffee und Wasser. Der Innenraum ist weitestgehend original gehalten. Viel Holz und freier Raum. Etliche Fenster lassen viel Helligkeit hinein.
Der Übergang von lockerer Plauderei zum Frage-/Antwortspiel ist fließend. Es wird gern über das bereits Erbrachte geredet. Weniger über Umsatzzahlen: „Vor zehn Jahren haben wir mit einem Schuh angefangen. Wir haben in Richtung Qualität argumentiert und das kam gut an. Wir reden nicht über unsere Zahlen“, erklärt der Gründer. „Für die anderen im Markt ist unsere Entwicklung sehr interessant, denn sie zeigt, wie wichtig dem Verbraucher der Einsatz von umweltbewusstem Material ist und dass in Deutschland produziert wird. Viele große Marken haben keine Antwort auf das, was wir hier machen.“
Wie wird bei Lunge nachhaltig produziert?
„Qualität und Funktion durch bessere Materialien ist unser oberstes Ziel. Umweltverträglichkeit kommt ganz von allein, wenn man Made in Germany produziert. Wir mussten unsere Strategie nicht irgendwann ändern und den Fokus daraufsetzen. Das lag uns immer am Herzen. Wir wollten einen Laufschuh herstellen, der unseren Ansprüchen in allen Bereichen genügt. Dieser Anspruch an Natur, Umwelt und Mensch ist hoch. Als erstes möchte ich da unsere Lieferanten nennen, mit denen wir seit Anfang an zusammenarbeiten. Alle Materialen sind schadstofffrei. Unser Obermaterial ist nach Oeko-Tex 100 zertifiziert, das EVA und der Latexschaum sind ebenfalls frei von Gefahrenstoffen.“
Hinter den vielen Fachbegriffen verbirgt sich ein Konstrukt an Regulativen, das für in Deutschland produzierende Unternehmen eine beträchtliche Hürde darstellt, die es zu nehmen gilt. „In Deutschland gibt es nichts, was ungeregelt ist.“
Klingt im ersten Moment klischeebehaftet, ist aber eine wichtige Facette im Kontext der Frage, wie umweltfreundlich die Produkte sind, die im Alltag von vielen Menschen genutzt und irgendwo hergestellt werden. Und ein Gütesiegel. „Stellst du in Deutschland her, musst du dich an die Regeln halten“, gibt Lars Lunge wieder. „In Europa ist alles transparent. Zertifikate können jederzeit eingeholt werden. Außerhalb Europas ist das schon schwieriger. Da sind viele Zertifikate im Umlauf, aber sind die anerkannt? Wer prüft diese? Hier gibt es DIN- und ISO-Normen, die angeben, wie das Prüfungsverfahren sein muss. In Asien wird oftmals nicht mal beantwortet, was in den Materialen drinsteckt.“
„Das EVA-Material aus Asien, was für die Sohle verwendet wird, ist mit Stoffen behaftet. Beim Herstellungsprozess werden drüben Grenzen überschritten. Beim Import wird das jedoch nicht geahndet. Wir backen hier keine Sohlen, das machen unsere Lieferanten. Aber auch die müssen gewisse Zertifikate erfüllen und uns bestätigen, dass das schadstofffrei ist“, gibt Lars Einblick.
Auf der Website der Manufaktur ist eine Übersicht der Lieferant*innen zu finden, inklusive der Zertifikate und eingehaltenen Normen.
Das Gespräch wird im Gehen fortgesetzt. Über die Wendeltreppe ist die nächste Station das Großraumbüro, in dem auch die Brüder ihren Arbeitsplatz haben. Der T-förmige Raum hat Platz für etliche Mitarbeiter*innen im Vertrieb, Marketing, IT und Kreation. Im hinteren Teil ist auch Lars Bruder Ulf zu finden, wie er vor einem Whiteboard angeregt die Themen des Tages bespricht. Direkt daneben ist der Toilettenbereich, alles persönlich und doch funktional gehalten. An der Wand sind kleine Handtücher aneinandergereiht. Jedes Handtuch trägt den Vornamen eines Mitarbeitenden. Am Eingang zur Wendeltreppe informieren fünf Tafeln über die Geschichte des Gebäudes. Im Nebenraum links erstreckt sich ein dachgeschoss-ähnlicher Raum, in dem eine riesige Holzkonstruktion in der Mitte thront. Darunter etliche, übereinander gestapelte Schuhkartons. Auch hier, wie in allen anderen Räumen, fallen die vielen Fenster auf, die in die Dachschrägen eingesetzt wurden. „Aber lass uns erstmal runter gehen und am Anfang starten.“
Die Produktion befindet sich im Erdgeschoss. Die Geräuschkulisse ist etwas lauter, erinnert aber zu keiner Zeit an eine gewöhnliche Produktionsstätte und ist sehr zugänglich. Die etlichen Fenster lassen viel Licht herein. Die Maschinen stehen in gutem Abstand zueinander. Die erste Station ist für das Zuschneiden der Außen- und Mittelsohle da. Dort steht eine Mitarbeiterin mit Schutzbrille und führt sorgsam und unaufgeregt die Arbeitsschritte aus, um aus dem Rohmaterial, das in Plattenform neben der raumhohen Apparatur auf Paletten gestapelt ist, die passende Form herauszuschneiden. Ein kurzes, aber freundliches „Moin“ wird ausgetauscht. In einem Bereich liegen die Zuschnitte, die alsbald an die nächste Station weitergegeben werden. „Hier ist alles durchgetaktet. Wir arbeiten stets an unseren Prozessen. Die Herstellung funktioniert eigentlich immer reibungslos. Bis wir dahin gekommen sind, mussten wir uns aber einiges aneignen“, sagt Lars, während er beschwingt zwischen den Maschinen umherläuft und immer mal wieder ein fertiges Teilstück eines Schuhs aus einer Kiste holt und präsentiert. Im nächsten Abschnitt stehen Schuhe ohne Sohle in Reihe und Glied auf dem Kopf. „Diese Schuhe warten auf die Vermählung“, lächelt Lars Lunge. „So nennen wir das hier, wenn Obermaterial und Sohle zusammenkommen. Das Obermaterial wird hier um die Ecke zugeschnitten, komm‘ mal mit.“
Der Unternehmer kennt sich in seiner Produktion bestens aus. Schon immer? „Nein, Ulf und ich haben uns zu Beginn viel Hilfe ins Haus geholt und über die Jahre gelernt. Sowas weißt du alles nicht mal eben“, entgegnet er.
An der nächsten Maschine, um die Ecke, steht ein Mitarbeiter und bedient ein Display. Es ist dafür da, der Maschine genaue Vorgaben für den Schneideprozess des Obermaterials zu geben – der Teil des Schuhs, auf den wir alle ständig herunterschauen. Für jedes der nunmehr zwölf Modelle in der Produktpalette kann die Maschine die richtige Form schneiden. Das Schneidewerkzeug sticht schnell und präzise in den flach auf den Arbeitsbereich gelegten Stoff. Hinter dem Mann an der Maschine sind Kisten, gefüllt mit den unterschiedlichsten Stoffen, gestapelt. Direkt neben der Maschine faltet ein anderer Kollege Schuhkartons zusammen. Es wird sich kurz unterhalten.
Wir sind wieder bei der gläsernen Flügeltür am Eingangsbereich, die noch immer aufsteht und eine Brise von außen reinlässt. Sie ist eine von insgesamt drei Türen in diesem Raum, der wie ein Zirkeltraining aufgebaut ist. Jede Station ist wichtiger Bestandteil der Produktionskette. Und auch wenn diese Kette minutiös durch getaktet ist, so entsteht für die Kollegen an den Maschinen selten Stress.
„Uns war es von Anfang an wichtig, eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen“, gibt Lars preis. Woher die Mitarbeiter*innen kommen würden, frage ich. „Die meisten wohnen hier in der Nähe. Ulf und ich sind die einzigen, die von weit anreisen. Ich bin eben Stadtkind und kann nicht ohne Hamburg.“
Es geht schnell ein Stockwerk höher in die Nähabteilung. Die meisten werden diesen Bereich einer Schuhproduktion direkt mit Bildern aus Textilfabriken, wie beispielsweise in Bangladesch, assoziieren. Hier arbeiten Menschen häufig unter schlechten Bedingungen. Bei Lunge in Deutschland sieht das anders aus.
„2014 hatte Stiftung Warentest unsere Unternehmen auf die Sozialverantwortung getestet und uns eine Abwertung erteilt, weil unsere Sohlen einen Test für Sicherheitsschuhe nicht bestanden hat,“ sagt Lars lachend. In Düssin sitzen keine zig Menschen eng zusammengepfercht in einem schlecht klimatisierten Raum und nähen Schuhe. Aber so schlecht, wie man pauschal annimmt, sind die Arbeitsbedingungen in Asien auch nicht immer – so hat zumindest Stiftung Warentest attestiert:
“Die Fabriken, die wir in Asien besuchen durften, haben uns positiv überrascht. Die Hallen sind gut belüftet, die Arbeiter haben ordentliche Verträge, sind versichert und erhalten ihre Löhne pünktlich. Beim Umweltschutz sind die Verhältnisse besser als das, was wir in Deutschland bei dem Unternehmen Lunge gesehen haben”, schreibt Stiftung Warentest 2014.
Lars Lunge erinnert sich an den Test, an dem neben Lunge nur Adidas, Brooks, Reebok und Salomon teilgenommen haben. „Die Testkriterien waren für alle Marken gleich und in unserem Fall nicht korrekt angepasst“, sagt der Unternehmer. „Wir produzieren eben nicht in Asien. Die Informationslieferung an Stiftung Warentest sollte online über einen Server geschehen. Dieser akzeptierte unsere Dokumente nicht. Das technische Problem wurde nie behoben und wir konnten unsere Nachweise nie in Gänze abliefern. Wir hatten nach dem Bericht mit Stiftung Warentest gesprochen, da viele Aussagen in unseren Augen so nicht korrekt waren und einiges falsch dargestellt wurde.“
Gut bewertete der Test die Arbeitsbedingungen im Bereich der Geräuschbelastung. Vor allem der Nähraum glich einem Ruhebereich.
„Wir haben letztens wieder umgestellt und die Arbeitsplätze noch ein bisschen weiter auseinandergestellt. Zudem ist jede Kollegin mit allen Arbeitstechniken und Prozessen vertraut. Wir rotieren, was Monotonie im Job verhindert.“ Die Lautstärke hier ist auf Co-Working-Space-Niveau. Die Nähmaschinen sind leise, die Nadel trifft dumpf auf das zu nähende Material. Drei Mitarbeiterinnen sind an diesem Nachmittag zugegen. Geredet wird nicht, auch auf das „Moin“ wird verzichtet.
Die letzte Station ist das Warenlager, wo sich ein Kollege zwischen der raumhohen Regalen bewegt, die mit Schuhen gefüllt sind. Ein Spatz hat sich verirrt und fliegt umher. „Der findet schon wieder raus, hier ist ja überall offen“, kommentiert der Chef den Besucher. Am Ende der Halle befinden sich große Türen, durch die die Waren für den Abtransport geschoben werden. „DHL kommt einmal am Tag und macht den Laster voll“, gibt Lars Aufschluss. Über eine Seitentür führt der Weg zurück in den Empfangsbereich. Dort sitzen drei Mitarbeiterinnen und quatschen; eine davon mit einem Neugeborenen auf dem Schoß. „Ach, da ist der Nachwuchs ja endlich“, entgegnet Lars den strahlenden Frauen am hintersten Tisch des Raums.
„Willst du noch rumlaufen und dir Sachen angucken, dann esse ich schnell etwas“, fragt der passionierte Läufer. Draußen entfaltet die Sonne ihre volle Kraft. Nichts ist zu hören von der Herstellung der Schuhe im Haus. Rechts fährt ein roter Bus auf der höher gelagerten Straße in Richtung Haltestelle. Gegenüber ist eine Ziege zu hören, die keinen Gesprächspartner zu finden scheint. Eine moderne Schuh-Manufaktur inmitten ländlicher Idylle. Eigentlich ganz schön hier.
Zurück im Aufenthaltsraum sitzt Lars Lunge an einem der langen Tische und isst. Sein Mittagessen besteht aus zwei hart gekochten Eiern und Rohkost. Ob in all den Jahren mal was ganz Schlimmes passiert sei, möchte ich wissen. „Nein, nicht dass ich mich erinnern kann. Im Winter passiert es mal, dass die Tür zu lange aufgelassen wird und der Kleber dann verdirbt. Ansonsten hatten wir aber immer Glück“, gibt Lars wieder.
Wohin geht die Reise der Lunge GmbH?
„Wir versuchen natürlich auch, bessere Materialien zu finden, nachhaltigere und langlebigere Produkte herzustellen. Wenn wir mal beim eben angesprochenen Kleber bleiben. Das Lösungsmittel im Kleber wollen wir reduzieren, was wir auch schaffen. Dispersionskleber kommt bei uns zum Einsatz. Da ist das Trägermittel Wasser und nicht Lösungsmittel.“
Das Vermeiden von Stoffen sei das Ziel. Die Suche nach Materialien, die eine längere Lebensdauer haben, eine bessere Qualität und komfortabler sind, hört nicht auf. Laut Lunge ist das allerdings nicht so einfach.
„Wir haben zum Beispiel Fersenkappen, wo geschredderte CDs drin sind. Aber kein Stoff ist in einem kompletten Kreislauf. Mit den Naturstoffen kommen wir einfach nicht an die Qualitätsmerkmale heran, die die Kundschaft fordert. Sei es Dämpfung oder Abrieb“, so Lars. „Neue PU/TPU-Stoffe können als Rohmaterial eingekauft und in einem Kreislauf geschreddert werden. Dann gehen sie zurück zum Hersteller und können wiederverwertet werden. Stand jetzt sind wir aber eher beim Upcycling, als bei der „Circular Economy“. Wir haben Lieferanten, die verwenden Teile von PET-Flaschen. Die Menge reicht allerdings nicht, um permanente Verfügbarkeit zu gewährleisten.“
Seit Jahren bietet die Schuhmanufaktur auch Reparaturen an. Diese Dienstleistung, so Lunge, sei durch Zufall entstanden. „Die Reparatur war in der Tat Zufall. Manch einer fragte uns, was er nach 2000 Kilometer Einsatz mit dem Schuh machen soll. Wir boten an, eine neue Sohle ranzukleben. Die Leute waren zufrieden, das Verfahren war nachhaltig und so bieten wir das mit Partnern seither an. Die Neubesohlung ist zudem Müllvermeidung. Es gibt Leute, die seit sechs Jahren den selben Schuh haben und zum dritten Mal die Sohle ersetzen. Energievermeidung ist unser Weg und das größtmögliche Ziel. Wir wollen auch so weit gehen und Sohlen herstellen, die sich nicht mehr abreiben lassen. Dann läufst du fünf Jahre mit den Dingern rum. Ist doch besser, als sich jedes halbe Jahr einen neuen Schuh zu kaufen.“
Für die Lunge GmbH ist das Thema Laufschuh nur ein Teil der Unternehmung
„Der Läuferanteil bei uns ist 20 Prozent. Wenn wir nur Laufschuhe machen würden, würden wir in Schönheit sterben. Deswegen mussten wir uns öffnen und bieten auch bequeme Alltagsschuhe oder Sneaker an“, verrät der Sportler.
War diese Erkenntnis schmerzhaft, traten die Gebrüder Lunge doch an, einen besseren Laufschuh auf den Markt zu bringen?
„Es war ein Lernprozess. Zu Beginn dachten wir, einen nachhaltigen, qualitativ hochwertigen Laufschuh anzubieten und alle schreien danach. Dann stellst du fest, dass andere Ansprüche existieren. Optik, Leistungsfähigkeit. Damit hatten wir uns zu Beginn gar nicht beschäftigt. Wir mussten uns breiter aufstellen. Der Markt der Alltags- und Gesundheitsschuhe ist nebenbei auch wesentlich empfänglicher für höherwertige Materialien. Die sind einem höheren Preis auch aufgeschlossener. Made in Germany kostet eben immer mehr. Wenn du allerdings allergisch auf Stoffe reagierst, dann bist du froh einen Schuh am Fuß zu haben, der keinen Ausschlag provoziert. Wir sind gewachsen. Aus der funktionalen Ebene hin zu vielen anderen Aspekten, wie farblich gestaltete Modelle, auf die wir hingewiesen wurden. Und es macht uns stolz, dass wir Schuhe anbieten, die komfortabel, nachhaltig und langlebig sind.“
Und wie langlebig ist das Unternehmen Lunge GmbH?
„Wir wachsen 20 Prozent pro Jahr und es ist schön, ein Produkt herzustellen, von dem wir überzeugt sind und das umweltschonend ist; ein Arbeitgeber in dieser Region zu sein und ein geschichtsträchtiges Gebäude zu nutzen, dass noch die nächsten hundert Jahre als Produktionsstandort funktionieren wird.“
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