Viele Läufer*innen trainieren immer mit Musik, andere stört der Lärm auf den Ohren. Warum die richtige Playlist wichtig ist für die Leistung, was Musik-Doping ist und welche Läufer*innen mehr von Musik profitieren.
Von Marco Heibel
Der Dopingfall Jennifer Goebel war im Oktober 2009 vielen deutschen Zeitungen eine Meldung wert. Das Vergehen der US-amerikanischen Athletin war aber auch kurios. Goebel wurde der Sieg beim Lakefront Marathon, einer eher kleinen Veranstaltung im US-Bundesstaat Wisconsin, wegen “Musik-Dopings” aberkannt.
Sie hatte zwischen Meile 19 und 21 ihren iPod eingeschaltet. Damit beging Goebel einen Verstoß gegen das Reglement des US-Leichtathletik-Verbandes. In den USA scheint man also an den leistungssteigernden Effekt der Klangwelt zu glauben. Wobei bis heute nicht geklärt ist, ob Musik Sportler*innen tatsächlich schneller macht.
Je schlechter der Trainingszustand des Aktiven, desto mehr kann Musik bewirken.
Bereits 1995, also viele Jahre vor der Einführung des iPod und anderer MP3-Player, hat sich erstmals ein Forscherteam der University of North Carolina diesem Thema gewidmet. Die Studie war mit 16 weiblichen und männlichen Probanden nicht gerade repräsentativ, zeigte aber einen bemerkenswerten Trend: Die schwächeren Läufer*innen hielten bei hoher Intensität länger durch, wenn sie antreibende Musik hörten.
Bei den stärkeren Sportler*innen hatte die Musik dagegen keinen messbaren Einfluss auf die Leistung. Viele von ihnen fühlten sich sogar von ihr gestört. Mehrere internationale Studien bestätigten seitdem diesen Eindruck. Tenor: Je schlechter der Trainingszustand des/ der Aktiven, desto mehr kann Musik bewirken.
Musik lenkt von der Körperwahrnehmung ab
Führt man sich vor Augen, welche Hirnregionen Klänge ansprechen, erscheint das durchaus logisch: Diese sind die Amygdala (gewissermaßen die Verarbeitungsstation für externe Impulse), der Thalamus, der alle Sinneswahrnehmungen verarbeitet, und das Belohnungszentrum.
Allerdings ist auch das Stirnhirn involviert, welches unsere Motorik steuert. Und genau hier könnte der Grund liegen, warum weniger gut trainierte Läufer*innen sich von antreibender Musik mitreißen lassen.
Musik verleiht nämlich nicht nur ein gutes Gefühl und motiviert so in schweren Phasen, sondern lenkt auch von der Körperwahrnehmung ab. So kann es passieren, dass ein schwächerer Athlet dem schnellen Rhythmus der Musik folgt und für einige Zeit über seine Verhältnisse rennt.
In manchen Situationen mag das hilfreich sein. Anders sieht es aus, wenn man beispielsweise einen gezielten Formaufbau betreiben möchte.
Wie Musik im Wettkampf wirkt
Was bewirkt Musik nun bei besser trainierten Läufer*innen? Fakt ist, dass vor allem leistungsorientierte Sportler*innen häufig auf die Musik auf den Ohren verzichten. Für sie steht in der Regel auch im Training die Kontrolle der Herzfrequenz und der Lauftechnik im Vordergrund. Musikalische Berieselung macht für sie nur dann Sinn, wenn der Kopf und die Beine Probleme bereiten.
Interessante Ergebnisse für Ambitionierte haben Wissenschaftler*innen der Londoner Brunel University (2008) geliefert. Bei ihrer Studie gab es zwar nur einen Probanden, doch um den kümmerte sich das Forschungsteam besonders intensiv.
Joe, ein ambitionierter Freizeitläufer, hatte bis dato mehrere Marathons im Bereich von drei Stunden gefinisht. An der Marke von 2:45 Stunden war er jedoch mehrfach gescheitert. Joe setzte im Wettkampf einen MP3-Player mit seinen Lieblingsliedern ein, um sich abzulenken und um seine Nervosität in den Griff zu bekommen. Doch dieser Plan funktionierte nicht. Joe ging die Rennen stets zu schnell an.
Die Playlist, die pusht
Die Brunel-Wissenschaftler*innen machten den “Schuldigen” schnell aus: Joe hatte die Lieder in zufälliger Reihenfolge abgespielt. Damit es beim nächsten Marathon besser klappte, sollte er seine Lieblingslieder auf einer emotionalen Skala bewerten.
Anhand dieser Ergebnisse stellten die Wissenschaftler dann eine Playlist zusammen. Am Anfang standen zwei Lieder, die ihn emotional kaum berührten. Dann folgten drei Titel, die Joe pushten, ehe wieder zwei weniger emotionale Songs folgten und so weiter. Nachdem die Reihenfolge der Lieder überarbeitet war, glich die Playlist einer Achterbahn aus entspannender und anregender Musik – mit dem Ergebnis, dass Joe bei seinem nächsten Marathon unter 2:45 Stunden lief.
Dieser Fall ist natürlich sehr individuell. Das Beispiel zeigt dennoch, dass Musik unter gewissen Voraussetzungen leistungsfördernd sein kann. Allerdings sind viele Variablen zu beachten. Angesichts von Songauswahl, Trainingsziel, Lautstärke, Tempo, Rhythmus und persönlichen Vorlieben muss man sich vermutlich keine Sorgen machen über ein flächendeckendes “Musik-Doping” im Laufsport.
Zumindest nicht, bis ein Technologiehersteller ein Gerät entwickelt, das wirklich alle Läufer*innen schneller macht. Und bis es so weit ist, sollten vielleicht auch Gelegenheitsläufer*innen den Musik-Player mal weglassen. Denn die Natur kreiert ihren eigenen Sound – vielleicht das alternative Musik-Doping.