Marathon: Tausende laufen dieselben 42 Kilometer und am Ende gewinnt ein*e Ostafrikaner*in. Sind die Höhentrainingslager das Geheimnis der Erfolge? Mareike und Tobias – deutsche*r Hobby-Läufer*in – sagen, dass die Laufcamps in Kenia und Äthiopien ihnen eine zweite Lunge verleihen.
Klangvolle Beats, Leckereien in Holzschälchen und spannende Geschichten aus Ländern des afrikanischen Kontinents: Mareike und Tobias, frisch aus Äthiopien zurückgekehrt, nehmen sich exklusiv für Achilles Running Zeit und erzählen von ihren Erfahrungen in den ostafrikanischen Laufcamps.
Warum fliegen Läufer*innen aus der ganzen Welt nach Kenia oder Äthiopien? Was genau passiert dort? Und was bringt das auch Otto-Normal-Läufer*innen?
“Der Tag hatte noch nicht mal angefangen und die gaben es sich schon richtig”
Achilles-Running:* Mareike, Tobias, ihr reist tausende Kilometer nach Iten in Kenia oder Addis Abeba in Äthopien, um in Laufcamps in 2000 Meter Höhe zu laufen. Warum?
Mareike Dottschadis: Wenn du in einem ostafrikanischen Laufcamp trainierst, dann merkst du, dass dort in einer anderen Liga gelaufen wird. Die Kultur ist dort einfach besonders. Es ist selbstverständlich, dass jeder läuft. Das steckt an und inspiriert.
Tobias Singer: Es gibt einen klaren atmosphärischen Unterschied zu europäischen Laufcamps. Die Natur und die Abgeschiedenheit tun ihr übriges. Dort oben hast du wenig, das dich ablenkt. Meist nicht mal Internet. Du kannst dich nur auf drei Dinge konzentrieren: laufen, essen, schlafen. Wenn du über Ostern nach Zinnowitz fährst, hast du neben Läufern eben auch Rentner auf Fahrrädern um dich herum.
Mareike: Bei meinem ersten Mal in Iten kamen wir abends an und standen am nächsten Morgen schon in der Dämmerung auf. Auf einmal waren mit uns 200 Kenianer auf der einen asphaltierten Straße, die es dort gibt. Das war krass: Der Tag hatte noch nicht mal angefangen und die gaben es sich schon richtig. Wenn ich dort oben laufe, dann fange ich auch an zu glauben: “Alles ist möglich, wenn ich nur hart genug trainiere und verrückt genug träume.”
“Du kannst nicht so schnell, intensiv und lange trainieren”
Aber die Atmosphäre und das Träumen bringen Läufer*innen nicht weiter …
Tobias: Generell will man natürlich den Benefit der Höhe mitnehmen, den man im mitteleuropäischen Raum so nicht finden kann. Auch in den Alpen hast du nicht diese Effekte und schon gar nicht diese Trainingsbedingungen.
Worauf muss ich beim Lauftraining in der Höhe achten?
Mareike: Du musst dich damit abfinden, dass du viel langsamer als sonst läufst. Das ist anfangs motorisch echt ungewohnt. Als Langstrecken-Läuferin kennst du deinen Körper und weißt, wie viel Kraft du noch hast und wie viel du noch investieren kannst. Oben in der Höhe hast du das Gefühl, dir geht es gut, aber sobald du etwas mehr Gas gibst, ist das gleich zu viel für deinen Körper.
Tobias: Du kannst nicht so schnell, so intensiv und anfangs auch nicht so lange trainieren. Wenn du ein oder zweimal zu viel Gas gibst, musst du stehen bleiben. Oder du bist die nächsten Tage so platt, dass du nichts aus dem Training gewonnen hast.
“Wir Europäer wollen immer zu viel powern.”
Die dünne Luft setzt dem Körper zu?
Mareike: Besonders am Anfang atmest du sehr viel. Es kommt weniger Sauerstoff in der Muskulatur an, das gleicht der Körper aus. Wenn du dann an den Anstiegen noch tiefer ins Laktat gehst, kann der Körper das immer weniger verkraften.
Die Höhe ist sehr lehrreich aber auch eine harte Schule. Man kann sich dort sehr schnell überfordern. Du darfst in der Höhe eben auch nicht übertreiben, sodass du zu Hause gleich krank wirst. Dann geht die erarbeitete Form ganz schnell wieder flöten.
Also brauche ich in der Höhe einen besonders guten Wechsel zwischen Regeneration und Laufen?
Mareike: Absolut. Die Kenianer laufen unter anderem auch so gut, weil sie ein sehr gutes Körpergefühl haben. Sie wissen genau, wann und wie sie belasten sollen. Wenn sie trainieren, dann trainieren sie sehr hart, aber wenn sie chillen, dann chillen sie sehr hart. Wenn gerade nicht gelaufen wird, verbringen sie den Rest des Tages in der Horizontalen.
Tobias: Die Ostafrikaner trainieren zwar zweimal am Tag, aber auch gerne mal sehr langsam. Da läufst du an Wilson Kipsang vorbei, weil er nur locker joggt und ein bisschen dabei quatscht. Wir Europäer wollen immer zu viel powern.
Mareike: Dort oben nimmt man diesen Vibe mit. Mehr und mehr merkt man dann, wie der Körper sich anpasst. Nach einer Woche ist es schon sehr anders und in der dritten und vierten Woche kannst du dich schon viel mehr austesten.
“Du fliegst durch jeden Dauerlauf”
Sollte also jede*r Hobbyläufer*in einfach ein paar Wochen nach Kenia oder Äthiopien vor dem nächsten Wettkampf?
Mareike: Es ist ratsam, drei bis vier Wochen zu fahren. Nur dann profitierst du von den kurzfristigen und langfristigen Anpassungserscheinungen im Körper: dem Anstieg der roten Blutkörperchen. Den höchsten Stand erreicht man nach drei bis vier Wochen, danach flacht die Kurve wieder ab.
Tobias: Im Idealfall kommst du etwa zwei Wochen vor deinem Rennen wieder nach Hause. Das ist aber für den Otto-Normal-Verbraucher schwer. Wir fahren gerne am Anfang der Vorbereitung für drei Wochen. Dabei nimmst du unfassbar viel Grundlage mit, die du in Deutschland verarbeiten und in Schnelligkeit ummünzen kannst.
Das klingt etwas nach Mythos: Nach so einem kurzen Trainingslager läuft man dann einfach schneller?
Mareike: 10 Tage dauert es meist in der Ebene, bis dein Körper das so genannte “Höhenloch” überwunden hat. Wenn du wieder auf Meeresniveau akklimatisiert bist, dann fliegst du durch jeden Dauerlauf – und das bei relativ schnellen Geschwindigkeiten. Das ist, als wenn man einen dritten Lungenflügel hätte und überhaupt nicht atmen müsse. Alles fühlt sich viel leichter an.
“Wenn es heute nicht klappt, dann klappt es eben morgen”
Ist das wirklich so simpel?
Mareike: Es ist nicht nur eine Kunst, sich in der Höhe anzupassen. Du musst das auch Zuhause schaffen. Es ist ratsam, in den letzten Tagen des Trainingslagers noch ein bisschen mehr als sonst zu regenerieren. Ich war da manchmal zu übermotiviert und habe den Dreh noch nicht ganz raus.
Aber man nimmt von dort oben eben auch die positive Energie mit. Dazu eine Ruhe und Entspanntheit im Training. Wir in Deutschland wollen im Training immer alles messen und kontrollieren und machen uns sofort einen Kopf, wenn wir mal eine schlechte Einheit hatten. Dort oben gilt: Wenn es heute nicht klappt, dann klappt es eben morgen.
Zu den Personen: Mareike Dottschadis, Jahrgang 1991, hatte bis zu ihrem ersten Marathon 2009 nichts mit Laufen am Hut. Seit vier Jahren ist sie aktive Hobby-Läuferin, studierte Sportwissenschaft und arbeitet als sportliche Leiterin in der Adidas Runbase in Berlin.
Mareike im Achilles-Running-Podcast:
Tobias Singer, Jahrgang 1989, betreibt seit 1999 Leichtathletik, seit 2004 läuft er nur noch. Heute coacht er die Adidas Runners und war beim Berlin Marathon 2018 Tempomacher für Anke Esser, die schnellste Deutsche.
*Um die Antworten der Interviewpartner*innen nicht zu verfälschen, werden lediglich die Fragen “gegendert”.