Selbstoptimierung ist seit Jahren ein Trend, der immer stärker wird. Dass dazu auch Fitness-Tracker und Laufuhren gehören, versteht sich von selbst. Unsere Redakteurin Anna hat sich mit der Psychologin Christiane Attig über die kleinen Motivationshelferchen unterhalten.
Im Sommer erkennt man sie am bleichen Abdruck unter dem Handgelenk. Beim Feiern meist daran, dass der Blick verstohlen zum Handgelenk wandert, um zu sehen, ob das Schritte-Ziel von morgen schon ertanzt wurde. Die Rede ist von der verschworenen Gemeinschaft der Laufuhrträger*innen.
Diese Spezies liebt die eigenen Daten so sehr, dass man meinen könnte, sie würden sich wie im Film Matrix, durch einen Vorhang von in der Luft wabernden Einsen und Nullen bewegen. Ohne das kleine Helferchen am Handgelenk verlassen sie ihre Wohnung nur um äußersten Notfall. Dann fühlen sie sich hätten sie einen Teil ihres Selbst zurückgelassen.
Nicht ohne meine Laufuhr lautet die Devise.
Irgendwie ist das auch verständlich. Das elektronische Teil am Handgelenk hat schließlich fast schon einen sentimentalen Wert. Es war bei vielen Läufen dabei, hat sie durch gigantische Hochs und weniger schöne Tiefs getragen – oder naja – sagen wir begleitet.
Viele Läufer*innen legen die Uhr nicht mal mehr im Alltag ab und tragen sie sogar beim Schlafen. Das Motto: Schlafen gehört schließlich zum Training und muss daher getrackt werden. Der Gedanke dahinter: Nur so kann man sich und das eigene Training weiter optimieren.
Aber was genau machen Fitness-Tracker eigentlich mit uns? Und befeuern sie wirklich die Motivation von Lauf-Rookies?
Wir haben mit der Psychologin Christiane Attig gesprochen, die zum Thema Fitness-Tracking an der TU Chemnitz forscht. Im Interview mit ACHILLES RUNNING erzählt sie, warum sie selbst einen Tracker trägt, wie sie dadurch zu ihrer ersten Forschungsfrage im Bereich Fitness-Tracking kam und welcher Typ Mensch besonders vom Tragen eines Trackers profitieren kann.
Tragen Sie selbst einen Fitness-Tracker?
Tatsächlich ja (lacht)! Das führte mich auch zu meiner ersten Forschungsfrage, denn ich hatte festgestellt, dass ich eine leichte Abhängigkeit entwickelt habe.
Ach ja, wie sah die aus?
Kurzer Hintergrund: Ich wohne in Leipzig und pendele deshalb mit der Bahn zur Arbeit. Wer den Leipziger Hauptbahnhof kennt weiß, dass man sich hier oft zwischen Rolltreppe und Treppe entscheiden kann.
Auf meinem Weg zur Arbeit habe ich bemerkt, dass ich die Treppe häufiger benutzte, wenn ich meinen Tracker am Handgelenk trug. So konnte ich meine Schrittzahl erhöhen. An Tagen, an denen ich meinen Tracker vergessen hatte, fuhr ich stattdessen häufiger Rolltreppe.
“Ich nahm die Treppe für den Tracker und nicht, weil es die gesunde Variante war.”
Christiane Attig, Psychologin
Daraufhin habe ich mir die Frage gestellt, ob das auch so bei anderen Menschen ist. So entstand dann die Idee zu einer Studie, bei der genau das getestet wurde. In der Studie haben wir Menschen in fiktiven Szenarien vor die Wahl Treppe oder Aufzug gestellt. Dabei stellten wir fest, dass ich nicht die einzige bin, sondern es einige Menschen gibt, die sich ohne Fitness-Tracker für die gemütlichere Variante entscheiden würden. Das war zwar nicht die Mehrzahl, aber trotzdem gibt es wohl so eine Tendenz bei manchen Menschen.
Außerdem haben wir bei der Studie auch untersucht, ob es eine emotionale Komponente dieses Abhängigkeitseffekts für diejenigen gibt, die sich ohne Tracker für die Treppe entscheiden.
“Dabei hat die Studie gezeigt, dass es Menschen gibt, die ihre Schritte als weniger wertvoll ansehen, wenn sie keinen Tracker tragen.”
Christiane Attig, Psychologin
Auf der Verhaltensebene betraf das zwar eine deutliche Minderheit, aber fast die Hälfte der Befragten gab an, die emotionalen Auswirkungen der Abhängigkeit zu kennen. Den psychologische Mechanismus wird als Fehlattribution bezeichnet. Indem man den Wert der eigenen Leistung an den Fitness-Tracker knüpft, gibt man dem Gerät Macht über den eigenen emotionalen Zustand.
Abhängigkeit klingt für mich als Mensch ohne Fachkenntnisse erstmal abschreckend. Warum tragen Sie ihren Fitness-Tracker noch?
Es ist wichtig, den Begriff Abhängigkeit hier richtig zu verstehen. Es geht nicht um Suchtverhalten im klinischen Sinn. Mit Abhängigkeit ist in diesem Fall der Zusammenhang von Bewegungsbereitschaft und Fitness-Trackern gemeint. Mit Abhängigkeit beschreiben wir hier, dass unsere Bereitschaft uns zu bewegen von der Anwesenheit des Fitness-Trackers abhängen kann.
Ich selbst trage nach einer längeren Pause einen Fitness-Tracker für meine eigene Gesundheit. Außerdem habe ich festgestellt, dass ich mich über die Zeit hinweg weniger bewegt habe, wenn ich ihn nicht getragen habe. Ich nutze aber jetzt einen einfach Clip von Fitbit, dessen Display nicht immer sichtbar am Handgelenk ist. So bin ich nicht ständig abgelenkt und habe weniger das Bedürfnis zu überprüfen, wie viele Schritte ich heute schon gemacht habe. Außerdem werden hier auch nicht die Herzfrequenz gemessen oder Kalorien gezählt.
Was macht ein Fitness-Tracker mit uns aus psychologischer Sicht? Und wer kauft sich so ein Gerät?
Fitness-Tracker machen sehr viel mit uns. Wie wir in der Studie zum Abhängigkeitseffekt zeigen konnten, scheinen sie auf unsere Gedanken, unsere Gefühle bezüglich unserer Gesundheit, unsere Bewegungsmotivation und unser Verhalten zu wirken. Wie ein Tracker genau wirkt, kommt also auf die Nutzer*innen selbst und ihre persönlichen Gründe an, warum sie sich so ein Gerät kaufen wollen. Grob gesagt kann man aber zwischen zwei Typen unterscheiden.
Der erste sucht nach einer extrinsischen Motivation, um sich zu Sport und Bewegung zu motivieren. Für diese Gruppe ist der Gedanke an Bewegung und Sport alleine nicht genug. Deshalb holen sie sich einen Tracker, um sich zu motivieren, da sie leicht die Lust an Bewegung verlieren. Sie sind also leicht demotiviert und nutzen denmotivierenden Effekt von Trackern, um ihre Fitness zu verbessern. Sie bewegen sich durch den Tracker mehr, aber nicht weil ihnen das so viel Spaß macht, sondern weil das Gerät sie motiviert.
Der zweite Typ ist von sich aus an Sport interessiert. Zu ihnen gehören zum Beispiel Leistungssportler*innen und Menschen, die sich gerne bewegen. Sie sind intrinsisch motiviert und nutzen die Daten mehr als Informations- anstatt als Motivationsquelle. So erfahren sie mehr über sich selbst und können ihr Training gezielt optimieren.
Also könnte man sagen, dass Fitness-Tracker uns zum Sport motivieren können? Und würden sie z.B. Laufeinsteiger*innen empfehlen sich einen Tracker zu kaufen?
Es ist schwierig das zu verallgemeinern, da es immer auf den oder die einzelne Nutzer*in ankommt. Aber Fitness-Tracker haben auf jeden Fall ein großes Potenzial uns zu mehr Bewegung zu animieren. Viele Tracker nutzen Gamification, um die Nutzer*innen zu motivieren. Die Badges und das numerische Feedback setzen psychologische Mechanismen in Gang. So nach dem Prinzip positive Verstärkung: wenn ich etwas leiste, bekomme ich eine Belohnung. Außerdem wird Leistungsentwicklung messbar und das ist auch fast für jede*n ein Erfolgserlebnis.
“Etwas verallgemeinert kann man sagen, dass Tracker langfristig besonders Menschen ansprechen, die sich von sich aus gerne bewegen.”
Christiane Attig, Psychologin
Ohne das jetzt konkret belegen zu können, würde ich sagen, dass Laufeinsteiger*innen sich gerade in der Einstiegszeit durch einen Tracker einen enormen Motivationsschub holen können. Wobei auch hier zu beachten ist, dass es Menschen gibt, die vom ständigen Feedback gestresst sind. Ob sie durch den Tracker dabei bleiben, ist schwer zu sagen.
Etwas verallgemeinert kann man sagen, dass Tracker langfristig besonders Menschen ansprechen, die sich von sich aus gerne bewegen. Also diejenigen, die eine intrinsische Motivation haben, also von sich aus zum Sport motiviert sind und durch die Aufzeichnung ihrer Daten Erkenntnisse über ihren Fortschritt gewinnen. Aber natürlich kann man das nicht pauschalisieren und es kommt am Ende immer noch auf die individuellen Nutzer*innen an.
Wann hören Menschen auf Fitness-Tracker zu tragen?
Tatsächlich habe ich dazu auch schon eine Studie gemacht. Die hat gezeigt, dass es keinen eindeutigen Grund gibt, weshalb Menschen ihren Fitness-Tracker nicht mehr tragen. Vielmehr hat sich herausgestellt, dass es verschiedene Gründe gibt, die sich nach ihrer Häufigkeit ordnen lassen. Der häufigste Grund war dabei nachlassende Motivation. Menschen hatten einfach mit der Zeit weniger Lust ihren Tracker zu tragen.
Außerdem wurde klar, dass wenn die Nutzung unterbrochen wird, Menschen dazu neigen ihren Fitness-Tracker nicht weiter zu tragen. Das kennen bestimmt viele. Man fährt zum Beispiel in den Urlaub und vergisst den Tracker dort zu tragen. Am Ende merkt man, dass man den Tracker überhaupt nicht vermisst und zieht ihn nicht mehr an.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verlässlichkeit, oder besser gesagt, die fehlende Verlässlichkeit mancher Tracker. Menschen die Tracker tragen haben meistens auch eine Erwartungshaltung, dass ihre Daten richtig erfasst werden. Wenn die Geräte zum Beispiel das Training am Cross-Trainer falsch als Fahrradfahren aufzeichnen oder die Zahl verbrauchter Kalorien nicht stimmt, sind viele Nutzer*innen gefrustet und verlieren die Lust, den Tracker zu nutzen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch der Datenschutz. Viele Menschen setzen sich mittlerweile genauer damit auseinander und wollen wissen was mit ihren Daten passiert. Das ist eine positive Entwicklung. Aber am Ende müssen sie oft entscheiden, was für sie wichtiger ist. Die Daten über die eigene Gesundheit, die vielleicht von den Anbietern weiterverkauft werden. Oder der Vorteil des Trackers für die eigene Gesundheit.
Der positivste Grund, weshalb Menschen aufhören ihre Tracker zu tragen ist, wenn sie ihre Ziele erreicht haben.
Christiane Attig, Psychologin
Der Fachbegriff dafür lautet „Happy Abandonment“. Das passiert vor allem, wenn sie ihre Fitness oder Gesundheitsziele erreicht haben. Zum Beispiel, wenn die Waage endlich ihr Traumgewicht anzeigt. Oder weil man eine gute Fitness-Routine gefunden hat und die Kontrolle durch den Tracker nicht mehr braucht.
Zur Person: Christiane Attig ist Psychologin am Lehrstuhl für Angewandte Gerontopsychologie und Kognition an der TU Chemnitz. Seit 2016 forscht sie zu Themen wie Mensch-Technik-Interaktion und Fitness-Tracking. Dabei hat sie in verschiedenen Studien untersucht, wie Fitness-Tracker unser Verhalten beeinflussen und welche Gründe es gibt, die Menschen dazu bewegen ihre Tracker abzulegen.