Nach seinem zweiten Sieg in Folge beim Ironman auf Hawaii 2018 erlebt Triathlet Patrick Lange eine atemberaubende Zeit zwischen Bambiverleihung und Auszeichnung zum Sportler des Jahres. Ein Gespräch über sein gerade noch abgewendetes Karriereende, Burger und Bier nach dem Laufen – und warum die Siege auf Hawaii nicht seine wichtigsten Wettkämpfe waren.
Runde, stylische Brille, Cap des einen Sponsors, Jacke eines anderen: Patrick Lange ist zum Halbmarathon in Berlin und nimmt sich natürlich auch für Achilles Running Zeit. Der Ironmansieger ist ein gefragter Mann, hat schon einen Interviewmarathon hinter sich: „Ich muss erstmal etwas essen.“
“Es ist alles sehr schnelllebig gerade”
Trotz der vielen Termine bleibt er freundlich und locker, freut sich, mal als „Sporttourist in so einem Wettkampf“ an den Start zu gehen und nicht als Favorit. Der Halbmarathon sei „ein Trainingsblock, der für mich zum Aufbauprogramm gehört“, sagt Patrick Lange und desinfiziert sich nach dem Handschlag erstmal die Hände – krank werden ist im Ironman-Training nicht drin.
Achilles Running: Hallo Patrick, normalerweise läufst du 42 Kilometer nachdem du 3,8 Kilometer geschwommen und 180 Kilometer Rad gefahren bist: Schüttelst du einen Halbmarathon nicht einfach aus dem Ärmel?
Patrick Lange: (Lacht) Das geht schon. Für einen 21 Kilometer-Lauf muss ich mich nicht sonderlich quälen oder vorbereiten. Aber ich bin vor Berlin noch nie einen Marathon oder Halbmarathon allein gelaufen und ich will natürlich immer kompetitiv laufen und meine 1h11 aus dem Mitteldistanz Triathlon schlagen (Anm. d. Redaktion: Lange finishte beim Berliner Halbmarathon in 1h9).
Du hast 2017 und 2018 den Sieg beim Ironman auf Hawaii geholt, 2018 den Bambi und den Preis als “Sportler des Jahres” gewonnen, trainierst jetzt wieder für den Ironman 2019 – gibt es überhaupt noch Tage, an denen du mal ohne Plan aus dem Haus gehen kannst?
Diese Tage sind sehr selten geworden. Es ist alles sehr schnelllebig gerade. Es fühlt sich immer noch so an, als säße ich in einem Zug, der mit 300 km/h durch die Gegend brettert und links und rechts fliegt alles vorbei. Das ist mega schade.
Ich mache aber auch manchmal einfache Läufe mit meinen Freunden und gönne mir Burger und Bier im Anschluss. Als Profi-Athlet ist es wichtig, die Balance zu halten.
“Stolz kann meine Mutti sein”
Kannst du bei all dem die Konzentration auf die sportlichen Ziele überhaupt aufrechterhalten?
Mein Fokus liegt immer auf dem nächsten Wettkampf. Jetzt ist es das Ironman-70.3-Rennen in Vietnam im Mai. Mir ist ja bewusst, dass es sehr krass ist, was gerade mit mir passiert: Bambi, Sportler des Jahres und so weiter. Ich, als Leistungssportler, will mich aber eigentlich auf den Sport fokussieren und nicht groß zurückschauen, was war. Das kann ich auch machen, wenn die Karriere vorbei ist.
Stimmt es, dass Niederlagen mehr schmerzen als sich Siege gut anfühlen – also, dass die Siege nicht so lange nachhallen?
Da liegt viel Wahrheit drin. Ich bin nicht stolz auf meine Leistung. Stolz kann meine Mutti sein. Nach der Karriere habe ich dafür dann noch genug Zeit für. Eigentlich verlierst du ja auch nie: Du gewinnst oder lernst.
“Eigentlich verlierst du nie: Du gewinnst oder lernst.”
Stichwort lernen: Was können wir Hobbyläufer*innen uns von dir abschauen?
Man sollte sich auf jeden Fall nicht an einer Übung festbeißen oder sich beim Laufen nur aufs Anfersen konzentrieren. Du musst dir deine Flexibilität aufrechterhalten – auch im Kopf – und das große Ganze im Blick behalten.
Und wie geht das?
Ich nutze im Training wie im Wettkampf einen von meinem Lauftechniktrainer beigebrachten Body-Scan. Das heißt, ich gehe vom Haaransatz bis zu den kleinen Zehen meinen Körper durch und überprüfe: Wie ist meine Laufposition? Ist das richtig? Wie fühlt sich das an? Ein ganzheitlicher Ansatz, aufgebaut wie eine Matrjoschka – von klein zu groß.
“Ich stand vor dem Ende meiner Karriere”
Hast du eine Pre-Race-Routine?
Eine richtige Routine vor einem Wettkampf habe ich eigentlich nicht. Mein Motto ist immer: Wenn du irgendwo sitzen kannst, dann sitze und wenn du liegen kannst, dann liege. Ich versuche, ein Gleichgewicht zu finden: Viel ausruhen, aber trotzdem den einen oder anderen Trainingsreiz setzen. Viel essen ist auch wichtig, die Kohlenhydratspeicher müssen aufgefüllt werden.
Und mit welcher Einstellung gehst du dann in deine Rennen?
Vor allem bin ich dankbar für den Wettkampf selbst. Viele fragen mich nach meiner Motivation. Ich bin kein Motivationskünstler: Bei mir kommt die Motivation aus meiner persönlichen Geschichte. Ich stand Anfang 2016 vor dem Ende meiner Karriere, hing für drei Monate in der Luft – und wusste nicht, ob und wie es weitergeht (Anm. d. R.: Patrick Lange hatte in dieser Zeit keine Sponsoren und traf eine risikoreiche Entscheidung: Er hing seinen Job als Physiotherapeut an den Nagel, um im Triathlon noch einen letzten Versuch als Profi auf der Langdistanz zu starten).
In diesen drei Monaten habe ich gemerkt, wie sehr ich Triathlon betreiben will. Wie sehr es mir weh getan hat, dass mir jemand im Sportbereich fast den Stecker gezogen hat.
“Wir sind privilegiert”
Du musstest erst ganz nach unten, um dann ganz nach oben zu kommen?
Ja, das hat mich gelehrt, einfach dankbar zu sein, diesen Sport machen zu können. Irgendwann bekam ich die große Chance, als ein Sponsor gesagt hat, dass er mich unterstützen will. Aber es waren die Monate davor, die mir gezeigt haben, wie sehr ich den Sport vermissen würde. Wir sollten also nicht vergessen, wie geil das ist und wie privilegiert wir sind, wenn wir an Wettkämpfen teilnehmen können.
Stichwort Wettkampf: Welcher war dein geilster Ironman?
Mein Ironman-Texas-Sieg. Da hätte jetzt keiner mit gerechnet wahrscheinlich. (lacht) Aber mein erster Sieg bei meinem ersten Ironman-Start überhaupt war natürlich etwas ganz Besonderes. Auch weil ich damit überhaupt nicht gerechnet hatte.
Reifenpanne bei der Deutschen Meisterschaft
Hattest du auch mal eine richtig ärgerliche Panne im Rennen?
Mir ist bei einer Deutschen Meisterschaft ein Reifen geplatzt, als ich in Führung lag. Damit ist mir ein fast schon sicher geglaubter Deutscher Meistertitel durch die Lappen gegangen.
Und hat selbst ein doppelter Ironman-Champion eine heimliche Sünde?
Schokoladenkuchen mit einem flüssigen Kern!
Das Interview führte David Bedürftig