Geschwindigkeit ist keine Hexerei. Eine große Rolle spielt dabei der Puls. Sportwissenschaftler Prof. Dr. Jürgen Gießing erklärt, wie Läufer*innen durch richtige Pulsberechnung ihre Leistungsfähigkeit erhöhen.
Ausdauersportarten wie das Laufen bieten eine Reihe von Gesundheitsvorzügen. Dazu gehören ein reduzierter Körperfettanteil, ein beschleunigter Stoffwechsel, eine verbesserte Immunfunktion sowie eine Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens. Berücksichtigen wir die Tatsache, dass Herz-Kreislauf-Krankheiten in unserer zivilisierten Welt die Todesursache Nummer eins sind, wird schnell klar: Die Frage lautet nicht, ob man ein Ausdauertraining betreiben sollte, sondern wie man es betreiben sollte.
Um diese Frage zu beantworten, ist es sinnvoll, kurz auf die Bestandteile eines Trainingsprogramms, die so genannten Trainingsparameter, einzugehen. Sie umfassen Volumen, Häufigkeit, Dichte und Intensität der absolvierten Laufeinheiten.
Unter Trainingsvolumen ist der Gesamtumfang des Trainings zu verstehen, also zum Beispiel die pro Woche gelaufenen Kilometer. Die Trainingsdauer definiert den zeitlichen Umfang (in der Regel gemessen in Minuten pro Woche). Mit Trainingsdichte ist der zeitliche Abstand zwischen zwei Einheiten gemeint, und Trainingsintensität definiert vereinfacht ausgedrückt, wie anstrengend das Training ist.
Die optimale Herzfrequenz beim Laufen
Während sich die erstgenannten Parameter relativ leicht in Form von Kilometern, Minuten, Tagen, Stunden etc. ausdrücken lassen, ist die Berechnung der Trainingsintensität etwas schwieriger. Diese kann nie direkt, sondern stets nur indirekt gemessen werden. Beim Ausdauertraining bestimmt man die Trainingsintensität in der Regel über die Messung der Herzfrequenz.
Was ist nun die optimale Herzfrequenz beim Laufen? Hin und wieder kursieren Empfehlungen, die einen bestimmten Wert, zum Beispiel 130 Schläge pro Minute, als optimal bezeichnen. Doch egal, ob 130 oder eine andere Zahl, pauschale und damit verallgemeinerte Ratschläge werden der Frage nicht gerecht. Die Antwort hängt nämlich sehr stark vom Trainingszustand der betreffenden Person und ihren Trainingszielen ab.
Am besten misst der Arzt / die Ärztin
Zunächst einmal muss die jeweilige individuelle maximale Herzfrequenz ermittelt werden. Auch diese variiert allerdings, exakt kann die individuelle maximale Herzfrequenz nur durch Messung bestimmt werden – am besten unter ärztlicher Aufsicht. Näherungsweise kann man sie berechnen, indem Männer ihr Lebensalter in Jahren von der Zahl 220 subtrahieren.
Video: Dr. Matthias Marquardt erklärt den optimalen Trainingspuls
Grobe Bestimmung der Herzfrequenz für das Training von Anfängern
Frauen subtrahieren ihr Lebensalter von der Zahl 226. Bei einer 26-jährigen Athletin wird also in etwa eine maximale Herzfrequenz von 200 veranschlagt. Das bedeutet: Bei größtmöglicher Anstrengung kann das Herz nicht mehr als 200 Mal pro Minute schlagen.
Ein 50-jähriger Mann hingegen erreicht im Allgemeinen nur eine maximale Herzfrequenz von circa 170 Schlägen pro Minute. Diese Beispiele verdeutlichen in vieler Hinsicht, warum ein bestimmter Wert von beispielsweise 130 Schlägen pro Minute niemals eine für jedermann zutreffende Empfehlung sein kann.
Wie Läufer*innen ihren Puls bestimmen
Eine allgemeine Faustregel lautet, dass die Trainingsherzfrequenz bei 60 bis 85 Prozent der maximalen Herzfrequenz liegen sollte, wobei Anfänger*innen sich am unteren Wert dieses Pulsbereiches orientieren sollten, Fortgeschrittene am oberen.
Diese Richtlinie gibt somit zwar den Bereich vor, innerhalb dessen eine Trainingseinheit intensiv genug ist, um Anpassungsreaktionen gewünschter Art hervorzurufen, aber der Trainingszustand, der die Wirksamkeit dieser Vorgabe beeinflusst, wird nicht ausreichend berücksichtigt.
Auch hierfür gibt es eine Faustregel. Diese besagt, dass Anfänger*innen zunächst mit 60 Prozent der maximalen Herzfrequenz trainieren und sich dann langsam und progressiv jeden zweiten Monat um fünf Prozent steigern sollten.
Auf diese Weise steigert man sich innerhalb eines Jahres von 60 bis auf 85 Prozent und wäre nach einem Jahr regelmäßigen Trainings vom Rookie zum/r Fortgeschrittenen aufgestiegen.
Gut trainierte Sportler*innen haben einen niedrigen Ruhepuls
Wie eingangs eingeräumt, handelt es sich bei diesen Faustregeln um relativ allgemeine Vorgaben. Es gibt allerdings auch neuere Richtlinien, die etwas präziser sind und ihren entscheidenden Vorteil darin haben, dass sie den Ruhepuls in die Formel mit einbeziehen.
Vereinfacht gesagt haben gut ausdauertrainierte Sportler einen niedrigeren Ruhepuls als Menschen, die kaum oder nie an ihrer Ausdauerfähigkeit arbeiten. Die Einbeziehung des Ruhepulses stellt folglich sicher, dass ein steigendes Leistungsvermögen angemessen Berücksichtigung findet.
Um den individuellen Zieltrainingspuls zu bestimmen, subtrahiert man zunächst das Alter von 220 beziehungsweise 226 und subtrahiert davon noch einmal den Ruhepuls. Anschließend wird das Ergebnis mit einem Faktor multipliziert und der Ruhepuls wieder dazuaddiert. Das ergibt die Zielherzfrequenz.
Präzisere Bestimmung der Herzfrequenz für das Training von Anfänger*innen
- Männer: (220 – Lebensalter – Ruhepuls) x 0,6 + Ruhepuls = Zielherzfrequenz
- Frauen: (226 – Lebensalter – Ruhepuls) x 0,6 + Ruhepuls = Zielherzfrequenz
Der Faktor richtet sich nach dem Trainingszustand und beträgt 0,6 bis 0,75. Anfänger verwenden also eher den Wert von 0,6 und je nach Fortschrittsgrad nähert man sich der 0,75. Als Fortgeschrittene gelten diejenigen, die bereits mindestens ein halbes Jahr lang regelmäßiges Training absolviert haben.
Ausgangswerte bestimmen
Besagte Formeln sind deshalb genauer, weil durch die Einbeziehung des Ruhepulses das sich verändernde Leistungsvermögen und die körperliche Fitness direkt in die Berechnung der Formel und damit in die Bestimmung der Trainingsintensität einfließen.
Wer regelmäßig Sport treibt und sein Leistungsvermögen verbessert, sorgt für die Anpassung des Herz-Kreislauf-Systems und senkt damit den Ruhepuls. Wer allerdings längere Zeit mit dem Training aussetzt, kann beobachten, dass der Ruhepuls wieder steigt. Durch die Berücksichtigung des Ruhepulses bei der Berechnung der Trainingsherzfrequenz wird die Intensität optimal auf das derzeitige Leistungsvermögen ausgerichtet.
Man bestimmt ihn am besten direkt nach dem Aufwachen noch im Liegen, wenn Faktoren wie unter anderem Stress und Koffein die Pulsfrequenz noch nicht beeinflussen können. Wird zudem der individuelle Maximalpuls exakt bestimmt (der Wert ersetzt in der oben angeführten Berechnung den von 220/226 minus Lebensalter), halten Sie alle relevanten Basiswerte für Ihre Trainingsplanung in Händen.
Wenn Sie durch die Verwendung solcher Formeln die eigene Zielherzfrequenz ermitteln, wissen Sie auch, welche Geschwindigkeit gewählt werden muss, um im entsprechenden Zielherzfrequenzbereich zu bleiben. Damit wird klar: Die richtige Laufgeschwindigkeit ist keine Hexerei, sondern lässt sich relativ leicht berechnen.
Die ist ein Gastbeitrag von: Running – Das Laufmagazin – es erscheint einmal im Monat.