Für viele Menschen brechen mit der Corona-Krise Routinen weg. Lauftreffs sind auf unbestimmte Zeit abgesagt, Kinder müssen ganztags plötzlich neben der Arbeit betreut werden. Auch Events wie Läufe, auf die man sich lange vorbereitet und gefreut hat, fallen aus. Unsere Redakteurin Anna hat sich damit befasst, wie wir am besten mit aufkommenden Gefühlen umgehen können.
„Laufen – das ist Freiheit“, schwärmt Claudia. Die alleinerziehende Mutter eines 13-jährigen Sohns arbeitet im Vertrieb in Düsseldorf. Derzeit befindet sie sich, wie viele andere, wegen der Corona-Krise im Home-Office. „Morgens laufe ich, um den Kopf frei zu bekommen“, erzählt die 50-jährige und beschreibt, wie sie vor fünf Jahren mit dem Laufen anfing.
„Das Laufen hat mein Leben verändert“, sagt sie selbst. Sie hörte mit dem Rauchen auf, stellte die Ernährung um, lernte viele neue Menschen kennen. Als sie 2018 spontan das erste Mal beim Rennsteig-Staffellauf mit einer Gruppe aus Leipzig teilnahm, war sie von der Gemeinschaft so überwältigt, dass sie sich ein Tattoo des Rennsteig-Logos an der Innenseite der rechten Wade stechen ließ. 2019 lief sie dann den Halbmarathon beim traditionellen GutsMuths-Rennsteiglauf.
Dieses Jahr wurde dieser, wie viele weitere Events, abgesagt. „Das ist schade, vor allem, weil ich die Leute gerne wiedergesehen hätte“, erzählt Claudia. Aber ihre Laufmotivation hat dadurch nicht abgenommen.
Laufen als Ausgleich zum Corona-Stress
Im Gegenteil. Zurzeit muss sie sich zwingen, nach ihrem morgendlichen Lauf, den Weg nach Hause einzuschlagen. Teilweise läuft sie 16 Kilometer vor der Arbeit. Das gibt ihr Halt im stressigen Alltag, der nun auch die ganztägige Betreuung eines Teenagers einschließt, da die Schulen geschlossen sind.
Die Angst, dass ihr das Laufen auch noch durch Verschärfungen der Isolation genommen wird, ist groß. „Natürlich ist es wichtig andere zu schützen“, sagt die passionierte Läuferin und zeigt Verständnis. „Aber die Angst, dass mir jemand sagt, dass ich nicht mehr raus darf, lässt mich nachts oft nicht ruhig schlafen.“
Viele Läufer*innen kennen dieses Dilemma: Die Angst vor weiteren Einschränkungen konkurriert mit dem gleichzeitigen Verständnis, dass viele der Maßnahmen, die gerade getroffen werden, notwendig sind. Zwischen Angst, Unruhe und Trauer – viele drehen sich gerade im Karussell der Gefühle.
Verängstigt, wütend, hilflos, traurig – Emotionschaos in der Corona-Krise
Die Psychologin und Psychotherapeutin Anna Schmied weiß, dass gerade in dieser Zeit viele Menschen – egal ob Läufer*in oder nicht – mit solchen Emotionen zu kämpfen haben. Laut ihr ist es wichtig dabei den eigenen Bezugsrahmen nicht aus den Augen zu verlieren. Das kann helfen sich selbst einzuordnen und zu verstehen, dass andere vielleicht sogar schlimmer von der Krise betroffen sind.
Gleichzeitig betont sie auch, dass es wichtig sei, sich trotz dieses Verständnisses die eigene Wahrnehmung nicht abzusprechen. Soll heißen, dass unsere Ängste und Sorgen ernst genommen werden müssen, auch wenn es uns vergleichsweise gut geht. Gerade in solchen Zeiten können wir Gefühle wie „Hilflosigkeit, Orientierungslosigkeit, Traurigkeit, Verzweiflung, aber auch Wut und Ärger“ erleben.
Sollte das passieren, rät die Expertin dazu diesen Emotionen nachzugehen. „Es ist wichtig diesen Gefühlen Raum zu geben. Gespräche mit Freunden, die in einer ähnlichen Situation stecken, können hilfreich sein.“ Außerdem sei es empfehlenswert einen Moment inne zu halten und sich Zeit zu lassen. „Das kann auch bedeuten, dass man mehrere Tage weint, sich schlecht fühlt und traurig ist.“
Aufpassen sollte man, wenn diese Gefühle auf Dauer nicht nachlassen. Eine anhaltende depressive Stimmung, Interessensverlust und Antriebsmangel gehören übrigens zu den Hauptsymptomen einer Depression und sollten daher ernst genommen werden. Auch ständiges Grübeln sei ein Zeichen dafür, dass man sich Hilfe von außen suchen sollte, um das Geschehene zu verarbeiten.
Routinen, Sport und das Wichtigste: Keep on running!
Die meisten finden aus der oben beschriebenen Phase jedoch problemlos heraus. Am einfachsten geht das, indem man neue Routinen und Strukturen gestaltet. Idealerweise beinhalten diese auch Bewegung, denn so werden Glückshormone ausgeschüttet. Für alle, die jetzt mit glasigem Blick vom Runners-High träumen haben wir – man mag es kaum glauben – eine gute Nachricht: Aus psychologischer Sicht ist es laut der Expertin am gesündesten weiter zu laufen und sich neue Ziele zu setzen.
Anders gesagt: Geht laufen! Macht mit bei virtuellen Rennen! Sucht euch Alternativen! Wie wäre es zum Beispiel mit einer Yoga-Challenge, um endlich an Balance und Beweglichkeit zu arbeiten? Das geht bequem von Zuhause und ist garantiert so anstrengend, wie die tägliche Runde um den Block.
Bei anhaltenden Problemen solltet ihr euch an eurer Hausärzt*in oder die telefonische Seelsorge unter dieser Nummer 0800/111 0 111 wenden.