Ohne Fleiß kein Schweiß. Denn deshalb laufen Läufer*innen ja. Aber damit sich Athlet*innen unterwegs nicht in eine Sahelzone auf zwei Beinen verwandeln, ist Nachschub vonnöten. Manche übertreiben es jedoch, findet Laufaufsichtsrat Achim Achilles.
Mein Vater hat immer gesagt, dass zu viel Flüssigkeit ungesund ist. “Trink nicht immer, dann schwitzt du auch nicht”, lautete eine seiner ewigen Weisheiten. Trinken war ein Zeichen von Schwäche. Und Urin nur dann gut, wenn er goldgelb schimmerte.
Meine Mutter stellte jedes Jahr bei der Urlaubsfahrt gen Italien einsame Rekorde in puncto Harnverhalten auf. Sie traute sich nicht, zu sagen, dass sie gern auf dem nächsten Parkplatz halten würde … sie fürchtete das gestöhnte “Schon wieder!” des pilotierenden Familienoberhauptes, der einer festen Marschtabelle folgte – über Jahre hinweg auf Staufreiheit hin optimiert. Der Urlaub galt nur dann als gelungen, wenn wir exakt in dem von ihm ausgerechneten Idealslot zwischen 18.30 Uhr und 19.00 Uhr den Brenner passierten.
Mona ist eine moderne Frau. Wenn wir nach Italien fahren, hat sie drei Flaschen Wasser im Fußraum. Vorwärtsverteidigung für den Bikinikrieg am Strand. Denn Claudia Schiffer und Naomi Campbell versichern jeder Frauenzeitschrift, dass das einzige Geheimnis ihrer Schönheit darin bestehe, mindestens drei Liter Wasser am Tag zu trinken. Völlig automatisch hebt Mona jede Minute einmal eine Flasche, schraubt den Deckel ab, nippt, verschraubt, stellt ab, hebt an, schraubt auf, nippt, schraubt zu. Ritualverhalten – wie die zerzauste Löwin, die lange Jahre in einem engen Zoogehege zugebracht hat.
Mona lässt keinen Parkplatz aus. Deswegen brauchen wir heute auch genauso lange nach Italien wie vor 35 Jahren. Kennzeichen unserer Zivilisation ist nicht Tempo und Technik, sondern Flüssigkeitsumsatz. “Dehydrieren ist lebensgefährlich”, warnt Mona. Kommt auf der Liste der postmodernen Lebensrisiken gleich nach Gefrierbrand und VPL (die Abkürzung steht für “Visible Panty Line”; dabei handelt es sich um den sichtbaren Eindruck, den schlecht geschnittene Unterwäsche in mäßig trainiertem Bindegewebe unter Hosen und Röcken erzeugt).
Also trägt jede Frau heute in Handtasche, Rucksack oder gleich in der Hand eine Flasche Wasser spazieren, wegen der Schönheit. Im Ernst: Drei Liter trinken, das geht nur mit Bier. Dann kann ich aber nicht mehr laufen.
Was würden Massai tun? Sie würden lächeln
Gefährde ich Menschenleben, weil ich finde, dass man nicht nur Autofahren, sondern sogar einen 90-Minuten-Lauf bei mitteleuropäischen Temperaturen ohne Flüssigkeitszufuhr bewältigen kann? “Du musst was trinken”, ermahnt mich Mona. Früher haben wir ganze Nachmittage im Hochsommer völlig ausgetrocknet gekickt und hingen bestenfalls mal am Wasserhahn vom Gewächshaus, bis uns der Gärtner weggejagt hat. Offenbar habe ich jahrelang mit meinem Leben gespielt.
Ich sage zu Mona, sie solle mal den Massai erklären, die jeden Tag zwei Stunden bei respektablen Temperaturen zu einem verschlammten Wasserloch marschieren und mit einem vollen Krug auf dem Kopf zwei Stunden zurück, warum sie des Todes seien, wenn sie nicht drei Liter Alpenquellwasser konsumieren. Sie würden lächeln, federnd davonlaufen und dabei noch besser aussehen als Naomi. “Das ist was anderes”, sagt Mona.
Kein Hausfrauenproblem ist “gaga” genug, als dass es Läufer*innen nicht sofort zu einem der ihren machen würden. Nun also Wasserwahn. Freizeit-Sportler*innen überstehen nicht mal die Autofahrt zum Walker*innen-Treff ohne “Gletschertrank”.
Und hinterher erst: Da reißen sie die Kofferräume auf und pressen hoch-kohlehydratreiche Klebe in den trainingswunden Magen, weil die Mitochondrien ja genau in diesem Moment ganz besonders viel Glykogen speichern. Wo aber sollen sie es speichern, wenn man den Vorräten nicht mal die Chance gegeben hat, sich zu verflüchtigen? Respekt für alle, die danach nicht den Wald vollreihern.
Trinkbehälter sind wie Walking-Stöcke
Trinken beim Laufen ist schon ästhetisch ein Problem. Mindestens die Hälfte geht daneben. Und wenn Calcium, Magnesium oder sonst welche gelösten Gesteinsarten im Getränk schwappen, sieht die Läufer*innen-Brust aus wie ein Schlabberlatz. Der Rest klebt auf den Beinen. An den paar Tropfen, die im Mund landen, verschluckt man sich obendrein. Und spuckt das Doppelte der eingenommenen Flüssigkeit aus.
Mitgeführte Trinkbehälter sind wie Walking-Stöcke. Sie dienen nicht dem Sport, sondern als Signal: Achtung, hier wird sich total professionell angestrengt. Anfänger*innen legen den Hüftgurt an, der die Dreiviertelliter-Flasche über dem Steiß wippen lässt und nach spätestens einer Viertelstunde tief ins Bauchfleisch schneidet.
Freaks tragen den Trinkrucksack Camelpak. Echte Mädchen allerdings benutzen Nuckelflaschengürtel. Django trug noch gekreuzte Patronengurte, die Dehydrierungs-Phobiker*innen dagegen hängen sich zehn Fläschchen in transparentem Kunststoff um.
Da tanzen dann gelbe, grüne, rote und blaue Zaubertränke auf der Speckschürze, damit die Sportsfreund*innen auch sehen, dass man eine halbe Stunde in der Küche stand, um Kick-Starter mit Aminokonzentrat, Carbo-Power mit Guarana und Power-Boost mit Putenaroma anzurühren. In Wirklichkeit sind Flaschenläufer*innen einfach nur Uschis. Und das gilt solange, bis der*die erste Marathon-Sieger*in mit Buddelgürtel durchs Ziel läuft.