Warum bekleben immer mehr Menschen ihre Körper mit bunten Streifen? Was die Kinesiotapes bringen, was man beachten muss und welche Rolle die Farbe spielt.
Lagen Sie als Kind beim Herumtollen des Öfteren mal auf der Nase? Bei genauerer Betrachtung war das Geheul meist dramatischer, als sich die Schramme am Knie herausstellte. Damals haben bunte Tierpflaster wahre Wunder bewirkt.
Von einer Sekunde auf die andere war der Schmerz vergessen, Spontanheilung sozusagen. Dass es dabei vielmehr um Optik als Effekt ging, war egal. Die Wirkung kam gewissermaßen mit Muttis zärtlichem Einsatz beim Anbringen des Bärchen-Strips auf der Wunde.
Wenn Sie sich heutzutage immer noch im Kreise bewegungsfreudiger Menschen tummeln, wird Ihnen sicher aufgefallen sein, dass seit einiger Zeit viele Hobbysportler*innen wie Professionelle ihren Körper mit allerlei bunten Tape-Streifen bekleben lassen, die an überdimensionierte Pflaster erinnern.
Doch was sind das eigentlich für farbenfrohe Bändchen?
Ursprung in Fernost
Die Kinesio-Tapes (griech. kinesis = Bewegung), so heißen die Strips, kommen ursprünglich aus Japan. Die Idee aus Fernost wurde hierzulande weiterentwickelt und hat unlängst Einzug in zahlreiche Physiotherapiepraxen erhalten.
Marco Welz von der Physiotherapiepraxis “M1 – Die Fitmacher” in Mannheim ist “Überzeugungstaper” der ersten Stunde. Seit fast acht Jahren beschäftigt er sich mit der Behandlungsform und bildet den Tape-Nachwuchs aus.
Nach anfänglicher Skepsis ist er mittlerweile überzeugt. Nicht nur das, für ihn sind die Tapes aus allen Bereichen des Leistungssports nicht mehr wegzudenken.
Kinesiotapes bei Läufern
Für Läufer*innen scheinen die Tapes, in ihrer Beschaffenheit der Struktur der Haut nachempfunden, wie gemacht. Wesentlich flexibler als herkömmliche Sporttapes bieten sie Schutz, Stabilisation, Aktivierung und Schmerzlinderung ohne dabei den Bewegungsradius des Athleten einzuschränken.
Das Aufkleben der Streifen erzeugt eine Stimulation der Mechanorezeptoren der Haut, der sogenannten Merkel-Zellen. Durch das Verschieben der Haut oder Faszie wird ein Reiz an den darunterliegenden Muskel geleitet.
Dadurch kann die Muskelspannung (Tonus) erhöht oder gesenkt werden. So lösen sich schmerzhafte Verspannungen.
Aus der Sensomotorik
Von Voodoo also keine Spur, versichert Marco Welz. Die Stimulation der Hautrezeptoren funktioniert bei jedem Patienten, unabhängig davon, ob dieser zu den Kinesio-Anhängern zählt oder nicht.
Diese Reizstimulation spielt sich auf der Ebene biochemischer Prozesse ab und ist Teil des wissenschaftlichen Gebiets der Sensomotorik. Das Bekleben der Haut mit den Tapes setzt somit einen Reiz, der einen Einfluss auf das Gesamtsystem hat.
Bei akuten Verletzungen mit Entzündung oder Schwellung wirkt der bunte Strip wie eine Art Lymphdrainage. Es aktiviert das Lymphsystem und fördert den Rückgang der Entzündung.
Erweiternd und begleitend
Ebenfalls im akuten Stadium einsetzbar sind Schmerztapes. Sie klebt man mit maximaler Zugwirkung auf, wodurch die Mechanorezeptoren der Haut aktiviert und die Schmerzrezeptoren geblockt werden.
Somit wird dem Athleten eine schmerzfreie Bewegung ermöglicht und ein durch Schonhaltung verändertes Gangbild wieder normalisiert.
Diese auch als Ligamenttechnik bezeichnete Form ökonomisiert den Bewegungsablauf und gibt den natürlichen Bewegungsradius zurück. Weiterhin kann der Strip dazu genutzt werden, der Muskulatur ihren Normaltonus zurückzubringen, um die maximale Kraftentfaltung des Muskels zu ermöglichen.
Was nach Alleskönner klingt, ist jedoch eine begleitende oder ergänzende Behandlungsform. Die 24-Stunden-Wirkung des Tapes erweitert die klassische physiotherapeutische Behandlung.
Kinesiotapes für daheim
Obwohl das Tapen eine komplexe Angelegenheit ist, schätzt Marco Welz die Erfolgsquote derer, die sich mit Handbuch, Schere und Tape-Rolle selbst ans Werk machen, auf etwa 60 Prozent. Problematisch wird es meist dann, wenn Symptome und Ursache nicht zusammenfallen.
Sollte also das Bekleben der schmerzhaften Muskelpartie keine Wirkung erzielen, liegt es selten am Tape – wobei die Qualität der Produkte stark variiert. Ein gutes Tape sollte etwa eine Woche halten, bevor es seine Spannung verloren hat und abfällt.
Für Interessierte sind sogenannte Pre-Cuts, also bereits vorgeschnittene Tapes zu empfehlen, die sich dank detaillierter Anleitung leicht selbst kleben lassen.
Kinesiotapes – Bedeutung der Farben
Die Frage nach den Farben und ihren Bedeutungen ist eine, die selbst eingefleischte Befürworter spaltet. Obwohl von der Wirkung des Tapes überzeugt, halten viele Therapeuten die Wahl der Farbe für unbedeutend und überlassen diese dem Geschmack des Patienten.
Pink, Hellblau, Schwarz und Hautfarben sind die vier klassischen Varianten.
Während Blau eine neutralisierende bis hemmende Wirkung nachgesagt wird, wirkt Pink angeblich aktivierend und anregend. Hautfarbene Tapes seien neutral, schwarze sollen Stabilität bringen. Marco Welz jedenfalls ist fest überzeugt von den kinesiologischen Tests zur Bestimmung des individuell passenden Tapes.
Dieser Text ist geschrieben von Matthias Haller und ist ein Auszug aus: RUNNING – Das Laufmagazin.