Mit dem Hund Gassi gehen kennt jeder. Beim Canicross aber ziehen Hunde den Läufer an einer Leine über den Gelände-Parcours. Aber was genau ist Canicross?
Sport verbindet. Und manchmal kann das auch wörtlich genommen werden. Zwei Meter lang ist die Leine, die beim Canicross jeweils zwei Mitglieder eines Teams unzertrennlich macht. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Führen darf nur der Hund. Der Zweibeiner hat zu folgen.
Beim 1. Canicross Nettetal Run, im Oktober 2012, im Naturschutzgebiet Schwalm-Nette, waren Joachim Arndt und sein Husky-Mix Mori, 5, nicht die einzigen Debütanten. Doch hatte der 52-Jährige wohl die weiteste Anreise. Gut drei Stunden Fahrt nahm der Hannoveraner in Kauf, um mit seiner Trainingspartnerin endlich zusammen einen Wettkampf bestreiten zu können. Seit zwei Jahren laufen die beiden gemeinsam die abendliche Runde, doch an Volksläufen musste der Prokurist bisher immer alleine teilnehmen. Bis er auf den Crosslauf in Nettetal stieß.
Insgesamt 71 aktive Zwei- und Vierbeiner fanden den Weg ins Rheinland. Da traf Schlittenhundewelt auf Hundesportwelt auf Läuferwelt. Schnittpunkt: Der Hund. Gestartet wird beim Canicross als Team: ein Hund und ein Läufer, und das im Minutentakt. Der Hund vorneweg, dahinter an einer zwei Meter langen, elastischen Leine der Läufer/in. Es ging über eine 5,8 km lange Crossstrecke, die es in sich hatte. Bergauf- und Bergab-Passagen – selten war es flach, kleinere Hindernisse, unebener Boden, Wurzeln, eine Weide mit kniehohem, saftigem Gras. Bei so manch Zwei- oder Vierbeiner hing da schon mal die Zunge am Boden. Was das Naturerlebnis betraf: Einmalig. Naturschutzgebiet eben.
Canicross: Deutschland ist Entwicklungsland
Obwohl Canicross hierzulande nahezu unbekannt, ist es keine neumodische Erfindung. Schon seit 34 Jahren gibt es diesen Sport. Meistens integriert in Hundeschlittenveranstaltungen, deshalb unter Läufer eher unbekannt, zumal Deutschland in dieser Hinsicht Entwicklungsland ist. Während in den europäischen Nachbarländern, allen voran Belgien und den Niederlanden, im Herbst fast an jedem Wochenende eine Veranstaltung stattfindet, ist der Canicross in Nettetal erst die dritte seiner Art in Deutschland.
Der Canicross-Mangel war wohl auch der Grund, warum Herbert Thinnes, Profi-Hundeschlittenführer (Musher) großen Bedarf sah. Thinnes, der in Nettetal zu Hause ist, liegt viel daran, den Sport über die Grenzen der Schlittenhundewelt hinaus zu führen. Mit Ingo Babbel, Breitensporttrainer und Mitglied im Schlittenhundesportverein Münsterland e.V., konnte der 62-Jährige jemanden für diese Veranstaltung gewinnen, der ebenso wie er, vom Potential des Canicross überzeugt ist.
Babbel suchte Sponsoren, plante die Strecke in Nettetal, organisierte die Veranstaltung und stellte zudem ein eigenes Team zusammen. Sein doglove-racing-Team umfasst 10 (ambitionierte) Läufer und (Weltklasse-)Schlittenhunde. Alle Zweibeiner rekrutierte der 40-jährige Viersener aus der Laufszene, die Hunde stellt Thinnes. Der Canicross in Nettetal war für sein Team, das erster in der Teamwertung wurde, aber nur ein Testlauf. Am 13./14. Oktober 2012 ging es zur Canicross-EM nach Cirencester/England. Dort belegten sie den den 5. Rang sowohl mit der Damen- als auch mit der Männerstaffel. Beste Einzelplatzierung des doglove-racing Teams mit Rang 8 erreichte Nina Windhausen in der Altersklasse 19-39 Jahre.
Auch Königspudel und Cockerspaniel können mitlaufen
Trotz des eigenen ambitionierten Anspruchs betonen Babbel und der Thinnes immer wieder den Breitensportcharakter der Veranstaltung, sowohl was Hunde, als auch die Läufer betrifft. ?Auch wenn der Sport aus dem Schlittenhunderennen kommt, ist unsere Veranstaltung für jede lauffreudige Hunderasse geeignet?, so Thinnes. Das versichert auch der Dritte im Bunde, der Hundetrainer Hubertus Busch von der doglove-Hundeschule: “Auf die Schulterhöhe kommt es gar nicht so sehr an. Hauptsache der Hund ist lauffreudig. Ein Königspudel oder ein Cockerspaniel können hier genauso teilnehmen.” Und Babbel sieht sich mit den Konzept, den Fokus auf den Breitensport zu legen, durch die Hundebesitzer, die zum ersten Mal einen Wettkampf bestreiten, bestätigt.
Und in der Tat kommt an diesem Herbsttag eine bunte Vielfalt zusammen. Der Weezer Bedarfshundesportverein kommt mit einem Flandrischen Treibhund, dem Bouvier, einem Chesapeake Bay Retriever und Joey, einem neun Jahre alten niedlichen Terrier-Mix, angereist. Der kleine Joey bestätigte dann auch Hubertus Busch. Er war im Ziel so quirlig wie beim Start, hatte Spaß und brauchte sich hinter den Profi-Schlittenhunden, den Alaskan Hounds von Thinnes, nicht zu verstecken.
Hounds, die Kenianer unter den Hundesportlern
Hounds, diese schlanken Kurzhaarhunde sind quasi die Kenianer unter den Hunden. Dementsprechend achtet Thinnes bei seinen Hunden, wie bei Leistungssportlern üblich, auf die Ernährung. Im Prinzip unterscheidet sich da der Hundesportler vom Zweibein-Sportler nicht so sehr. So erklärt der Nettetaler: “Vor einem Wettkampf gebe ich meinen Hunden spätestens vier Stunden etwas zu Fressen. Ich koche eine Fleischbrühe mit nur ganz wenig kleinen Fleischbröckchen. So haben sie genug Flüssigkeit zu sich genommen und der Magen wird nicht belastet. Außerdem vermeidet man so, dass sie ihr Geschäft während des Rennens machen müssen.”
Nicht ganz so ausgefeilt ernährt Eric Salzborn, 47, der zum doglove-team gehört und an diesem Tag mit seinem zweijährigen Australien Shepard, Duncan, Dritter in der Hauptklasse wird. Aber auch er achtet darauf, dass sein Teamkollege hochwertiges Futter bekommt, das reich an Vitaminen und Nährstoffen ist und richtiges Fleisch enthält.
Was die Stressanfälligkeit betrifft, so sind die Vierbeiner aber wesentlich empfindlicher als der Mensch. Das fängt bei der Anreise schon an. So nahmen Babbel und sein Team, anstatt das Flugzeug, die Fähre nach England zur EM. “Wir achten darauf, dass wir den Tieren so wenig Stress wie möglich zumuten. Wir haben lang recherchiert und mit der DFDS Seeways fanden wir eine Fährgesellschaft, die uns garantieren konnte, dass die Hunde auf dem Schiff Auslauf haben und tiergerechte Bedingungen vorfinden”, erläutert Babbel den Grund, warum sie die längere Anfahrt in Kauf nahmen.
“Der Hund fordert und wird gefordert”
Aber was ist das besondere am Canicross? Nina Windhausen ist ambitionierte Läuferin und Canicross-Neuling. Sie gehört ebenfalls zum doglove-team und war sofort begeistert, nachdem sie das erste Mal mit Wuschi, Leithund aus Thinnes Schlittenhunde-Gespann, gelaufen ist: “Man baut eine besondere Verbindung mit dem Tier auf. Der Hund führt an und als Läufer gebe ich ein Stück weit Kontrolle über meinen Lauf ab. Anderseits muss ich hellwach sein, weil wir im unwegsamen Gelände laufen. Man läuft mit einem gleichberechtigten Partner,” erzählt die 31-Jährige. Anfangs hatte die erfahrene Läuferin kräftigen Muskelkater.
Der gut trainierte Hund zieht den*die Läufer*in – ca. 4 km/h schneller als gewöhnlich läuft man mit Hund -, und dadurch wird der Laufschritt länger. Die Oberschenkelmuskulatur wird vermehrt beansprucht. Außerdem sind Bauch- und Rückenmuskulatur gefordert, denn die Leine wird an einem Geschirr, ähnlich einem Klettergurt, eingehakt, der auf den Lenden sitzt. “Wichtig ist, dass der Hund immer Zug verspürt. Der Hund merkt sofort, wenn man das Tempo nicht mehr halten kann. Dann wird der Zug stärker und der Hund reduziert die Geschwindigkeit. Der Hund fordert einen und gleichzeitig wird der Hund gefordert”, erklärt die 31-Jährige Viersenerin.
Jeder Hund kann Canicross lernen
Gut ausgebildete Hunde lassen sich beim Laufen nicht ablenken, sondern fokussieren sich auf die Strecke und den Lauf. Dann wird der Canicross für Hund und Läufer*in erst recht zum Vergnügen. Die Kommandos an den Hund sind kurz: Rechts, links, zieh, weiter?! Mehr Worte sind bei Wettkampfbedingungen für den Läufer sowieso nicht drin. Hubertus Busch erklärt dazu: “Das richtige Ziehen kann man einem Hund beibringen, so dass er beim Laufen nicht stehenbleibt und schnüffelt oder sich durch andere Hunde ablenken lässt. Hunde lieben das Jagen und das machen wir uns bei unserem Canicross-Training zunutze”, und er fügt hinzu, “Canicross ist eine perfekte Grundschule für den Hund und macht aus ihm einen ebenbürtigen Sportskameraden, und das tut Tier und Mensch gut.” Joachim Arndt und Mori wünschen sich auf jeden Fall viel mehr Canicross-Veranstaltungen in Deutschland. Nettetal war hoffentlich nur der Anfang.
Infos zum Sport Canicross
Canicross (Canus, lat.=Hund) wurde von Tiermedizin-Studenten unter Leitung von Gilles Pernoud 1988 in Frankreich entwickelt. Thema ihrer Arbeit: Die Fitness und Schnelligkeit von Hunden und ihren Menschen unter Beweis stellen.
Es gibt drei Formen von Canicross:
- Canicross–Lauf ? der Hundeführer (Musher) rennt hinter dem Hund. Ø Geschwindigkeit 16 km/h.
- Bikejöring ? ein 2,5 m langes Gummiseil verbindet den Hund mit dem Mountainbike oder dem Scooter, einen speziellem Roller. Ø Geschwindigkeit 32 km/h.
- Skijöring ? der Läufer folgt auf Skier seinem Begleithund. Ø Geschwindigkeit 24 km/h.
Bei Wettkämpfen erfolgt der Start entweder als Massenstart wie bei der EM, oder als Einzelstart im Minutentakt. Es gibt beim Canicross – im Gegensatz zu anderen Hundesportarten – keine Leistungsklassen. Die Einteilung erfolgt nach Alter und Geschlecht.
Der Hund sollte gesund und mindestens 1 bis 1 ½ Jahre alt sein. (Profi-Schlittenhunde fangen schon mit 3-4 Monaten an.)
Die Wegmarkierung ist so simpel wie genial. Laufveranstalter könne sich da was abgucken: Ein rotes Schild links am Wegrand= dahinter links abbiegen; rotes Schild rechts = dahinter rechts abbiegen; blaues Schild = man ist auf dem richtigen Weg; gelbes Schild = Gefahrenstelle
Canicross-Ausrüstung:
- vorzugsweise Trailschuhe und einen Hüftgurt
- Eine Leine von maximal 2 Metern Länge (mit Panikhaken)
- Ein spezielles Laufgeschirr für den Hund, das dem Hund die Luft zum Atmen nicht nimmt.
- Wasser für den Hund nach dem Lauf
- Laufstrecken und Bedingungen:
- Grasböden und Waldböden sind am besten für die empfindlichen Pfoten geeignet
- Hunde sind hitzeempfindlicher als Menschen, da sie keine Schweißdrüsen haben. Deshalb gilt: je höher die Temperaturen, desto weniger sollte man mit dem Hund laufen. Canicross-Wettbewerbe finden deshalb auch nicht im Sommer statt.
Ausrüstung:
simply-outside-shop.de
Viola Hummel, Nach der Engelhecke 10, 63699 Hitzkirchen
Tel.: 0170 7328676, info@simply-outside.de
Veranstalter Cranicross Nettetal:
Herbert Thinnes, Ingo Babbel, Tel: 0171 8804933
ingo.babbel@t-online.de
Von Dagmar Wienke, Autorin von RUNNING – das Magazin