Kein anderer Schuh ist in den vergangenen fünf Jahren in der Beliebtheit derart gestiegen wie der Laufschuh. Mittlerweile ist er ein Lifestyle-Objekt. Wie das kam, was Kanye West damit zu tun hat und warum das Fragen zur Nachhaltigkeit aufwirft.
Wer an einem normalen Nachmittag am Wochenende in den Innenstädten verweilt und einen Blick auf das Schuhwerk der flanierenden Menschen wirft, wird feststellen, wie oft ein Sneaker – und im Besonderen der Laufschuh – ein Fußpaar ziert.
Der Laufschuh als Alltagsoption
In den vergangenen rund fünf Jahren ist die Branche zu einem gigantischen Markt geworden. 2016 wurde der Wert auf 55 Milliarden Dollar geschätzt. Bis 2025 wird eine Verdoppelung erwartet.
Die Entwicklung des Laufschuhs weg vom reinen Arbeitsgerät hin zum Stilobjekt hat einen beträchtlichen Anteil daran. Allerdings geschah dies nicht ohne prominente Nachhilfe.
2012 befindet sich die Schuhindustrie im dritten Jahr der Dürre. Die Rezession von 2008 wirkt sich auf das Kaufverhalten in den USA aus. Wenn ein Sneaker die Barriere zwischen Sport und Mode brechen würde, dann der Basketballschuh. Alles andere ist Bückware. Eines Abends wird der Künstler Kanye West bei einer Veranstaltung in schwarz-weißen Nike Flyknit Trainern gesichtet.
Das Internet bricht in Hysterie aus. Schon damals gilt West, zu der Zeit als einziger Musiker bei Nike unter Vertrag, als Stilikone jüngerer Generationen. Mit der Wahl seines Schuhwerks tritt West einen neuen Trend los: der Laufschuh als Alltagsoption.
Binnen weniger Tage werden die Sortimente in den USA leergekauft. Der einstige Ladenhüter ist plötzlich heiß begehrt. Nike, damals noch frisch am Markt mit seiner Flyknit-Technologie – ein Verfahren, bei dem das Obermaterial gestrickt wird –, erkennt das massive Potenzial. Sieben Jahre später hat der Laufschuh alle Zielgruppen erreicht.
Der Laufsport boomt
Fast zeitgleich erfährt der Laufsport eine Transformation. Eine Studie des Deutschen Leichtathletikverbands (DLV) von 2017 ergibt, dass sich die Anzahl an Läufer*innen in Deutschland von rund 15 Millionen in 2002 auf mehr als 22 Millionen in 2017 erhöht hat. Tendenz: weiter steigend.
Laufen wird zum Mantra eines gesundheitsbewussten Teils der Gesellschaft, der dank Technologien, Gamification und visuellen Anreizen aus der Mode einen schnellen Zugang zum Sport findet.
Laufen ist cool geworden, “urban”. Immer öfter sprechen die Sportmarken davon, dass Running “lifestyliger” geworden sei. Die rein funktionalen Laufschuhe, die höchstens Tourist*innen durch die Stadt trugen, werden zu modischen Statements: “Ich bin sportlich” soll das signalisieren. Und jetzt passt der Laufschuh auch zur Jeans.
Hinzu kommt die Einfachheit, mit der Laufen ausgeübt werden kann:
„Was brauchst du denn zum Laufen? Du brauchst ein Shirt, Socken, ‘ne Büx und eben Schuhe. Dann kann’s losgehen.“
Lars Lunge, Gründer der Lunge GmbH
Laufen bietet einfach für jede*n einen einfachen Zugang.
Die parallelen Entwicklungen in der Mode und dem Sport führen zu kontinuierlichem Umsatzwachstum. Ein Adidas Ultra Boost oder Nike Free spricht mehrere Arten von Konsument*innen an: Läufer*innen wie auch modeaffine Nicht-Läufer*innen. Die Produktvielfalt nimmt zu, wie auch die Produktdiversifikation. Früher gab es von einem Modell ein bis drei Farbvarianten. Mittlerweile können Käufer*innen ihren “Schuh der Wahl” im besten Fall selbst gestalten.
Überangebot ist ein Problem
Mehr Nachfrage ergibt ein höheres Angebot – oder umgekehrt, je nach Marketingstrategie. Bei der größten Marke der Branche braucht es circa dreieinhalb Minuten, um alle 66 Modelle in der Kategorie „Running“ für Männer* im Schnellverfahren anzeigen zu lassen und einmal von oben nach unten durchzugehen.
Weit über die Hälfte aller verfügbaren Modelle auf der Unternehmensseite bieten vier Farbvariationen oder mehr an. Hinzu kommt die Option der eigenen Gestaltung. Diese wurden beim Besuch der Seite nicht alle ausgewählt.
Toll, oder? Nur brauchen wir das wirklich?
Warum gibt es überhaupt so viele Modelle? Unterscheiden sich die Schuhe der verschiedenen Marken tatsächlich voneinander? Und welche Belastung stellt die schiere Masse an produzierten Schuhen für die Umwelt dar?
Im Oktober stellen wir uns dieser übergeordneten Frage: Wie nachhaltig sind Laufschuhe? Wie gehen die Marken das Thema an? Deswegen haben wir zwölf Marken angeschrieben und sie gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Nicht alle haben mitgemacht.
Hier geht’s weiter: Wie nachhaltig sind Laufschuhe? Und welche Sporthersteller stellen sich unserem Nachhaltigkeitsfragebogen?