Neues Jahr, neues Bullshit-Bingo. Veganes Nackt-Yoga oder schamanischer Faszien-Triathlon? Trend-Guru Achim Achilles entwickelt die Trendsportarten des Jahres 2016.
Deutschlands Muckibuden machen in den ersten beiden Wochen des Jahres geschätzt die Hälfte ihres Jahresumsatzes. Denn jeden Januar wiederholt sich ein merkwürdiges Schauspiel: Millionen bewegungsferner Menschen haben im Dezember ein derart schlechtes Gewissen angesammelt, dass sie im neuen Jahr richtig steil gehen – erst ins Sportgeschäft, dann ins Fitness-Studio.
Neue Schuhe, Neon-Klamotten und Tracker am Handgelenk, diesmal wird es was mit dem neuen Leben. Nun fehlen nur noch die richtigen Kurse, die die Bedürfnisse der Kurzzeit-Athlet*innen bedienen. Es geht ja weniger um echten Sport als vielmehr um angstreduziertes Wohlfühlen ohne übermäßiges Anstrengen.
Immer wieder: Alter Wein in neuen Schläuchen
Das Problem: Bewegen funktioniert seit einigen tausend Jahren gleich. Stets geht es um denselben Vierklang aus Kraft, Ausdauer, Koordination und Dranbleiben. Mit ein wenig Laufen, gelegentlicher Gymnastik und ein paar Liegestütz am Tag wäre viel gewonnen. Leider langweilig. Anstrengend. Unspektakulär. Und überhaupt nicht Facebook-tauglich.
So steht die Studio-Industrie unter hohem semantischen Druck: Wie verkauft man das ewig gleiche Spiel immer wieder neu? Wie verpacken wir den alten Kram diesmal? Gar nicht so schwer: Der moderne Mensch ist zwar wahnsinnig skeptisch – jedes Produkt wird nach Maximalsternen und Allergenen durchgegoogelt –, doch kaum geht es um Trendsport, lassen sich auch die größten Skeptiker*innen jeden Unsinn andrehen. Nie stirbt die Hoffnung, es gebe eben doch eine Abkürzung zur Fitness, die nicht weh tut und lange dauert, aber Monstermuckis macht.
Erforderlich ist allenfalls ein elaboriertes Wording, wie man in Marketingkreisen sagt – oder zu deutsch: ein Haufen Bullshit. Und dazu eine Trainerin mit Dobrindt-Brille, fein definiertem Bizeps und Kompetenzblick, ein bisschen wie Felicity in Arrows, die den neuen Sport überzeugend promotet, ohne schallend zu lachen.
Begriffsbaukasten fürs Trendsetting
Ein neuartiger Begriffsbaukasten erleichtert nun das alljährliche Neuerfinden altbekannter Sportarten und ist übrigens auch für T-Shirt-Aufschriften zu gebrauchen. Dieser Baukasten besteht aus drei Fächern, deren Begriffe sich wahllos untereinander kombinieren lassen:
1. Das Glaubensbekenntnis
Im ersten Fach finden sich möglichst englische Adjektive oder Adverbien, die ein Glaubensbekenntnis transportieren, das möglichst geheimnisvoll und exotisch die Träume der couch-affinen Menschen aufnimmt. Für 2016 geht der Trend, wie jedes Jahr, zum Esoterisch-Weltanschaulichen, etwa: shamanic, vegan, tibetan oder traditional.
Für Pragmatiker*innen bieten sich Begriffe aus der Banken-Reklame an: effective, optimized, functional, intense, dynamic. Den Winterdepressiven schließlich muss die Sportangst genommen werden, also: soft, passive, mental und mild. Bleiben die event-orientierten Hyperaktiven, denen wir urban, cool, active, erotic oder wild zuwerfen. Begriffe aus dem ersten Fach lassen sich auch doppeln, etwa mit authentic oder mental.
2. Der Style
Im zweiten Fach liegen Hauptworte, die einen Stil, einen Ort und die Art und Weise definieren. Street und Cross gehen immer, Retro und Turbo auch, Paläo und Amino sind Klassiker und natürlich Faszien, die derzeitigen Trendfasern schlechthin. Etwas spezifischer sind Standup, Klangschalen oder nackt. Geheim-Tipps: Soul und Selfie.
3. Die Disziplin
Im dritten Fach lagern schließlich Hauptworte, die eine ungefähre Disziplin definieren. Da gibt es relativ Konkretes wie Yoga, Running oder Workout, etwas wolkigere Versprechen wie Fit, Tuning oder Stimulation und natürlich die eher bewegungsarmen Disziplinen wie Wellness, Relaxing und Atmen. Und für ein “letics” findet sich immer noch ein Plätzchen am Ende.
Nun setzt man aus den Fächern einfach einen dreiteiligen Begriff zusammen, etwa “Vegan Street Bodyart”. Was das genau ist? Vermutlich bewegen sich ernste Menschen (“vegan”) an frischer Luft (“Street”) in teuren, aber nur bedingt sporttauglichen Klamotten (“Art”). Klingt jedenfalls ansprechend moralisch, nicht so anstrengend, dafür mit Niveau. Allemal Facebook-tauglicher als “Gymnastikstunde”.
Oder “Shamanic Faszien Triletics”. Da ist für jede Phantasie was dabei, womöglich sogar Räucherkerzen und Blackroll.
Gegensätze wirken anziehend
Kleiner Tipp: Das Kombinieren von Gegensätzen, also “wild versus Klangschale” oder “achtsam versus Power” erhöhen die Dramatik. “Erotic Selfie Walking” etwa wäre als Begriff ein ziemlicher Knaller, in der Realität dagegen wohl eher eine Enttäuschung.
Und: Was ist nun 2016 besonders hip? Klare Sache: Trend des Jahres wird “Authentic Urban Retro Running”. Bei dieser völlig neuartigen Disziplin läuft man ganz ohne Hilfsmittel wie etwa Stöcken oder Getränkegurten durch die Stadt und zwar todesmutig in den Klamotten vom letzten Jahr. Einstiegskurs? Nicht nötig. Kosten? Null. Völlig abgefahren, oder? Total unhip, aber immer noch effektiv: das einfache Bewegen …