So ein Pech: Kaum versucht sich Hobby-Läufer Achim Achilles ein paar Wochen als vegetarischer Praktikant, ist überall Pferdefleisch im Umlauf. Als Trost gibt’s Kichererbsenpüree – und Nudeln mit furchteinflößender Soße.
Der Kannibale verspeist besonders gern den Feind. Denn wer Herz oder Hirn des Gegners löffelt, bekommt dessen Kraft und Klugheit, so will es der Mythos. Insofern kommt Hobby-Läufer*innen das Pferdefleisch in der Nahrungskette ganz recht. Nur ich habe nichts davon. Kaum gibt’s lecker Schimmel, darbe ich als Teilzeit-Vegetarier.
Wirklich ungerecht. Ich übe im Stadion tapfer Tempo-Intervalle, während die Kolleg*innen in den Supermarkt rennen, um die letzten Portionen Turbo-Lasagne zu erwischen, am liebsten die Charge mit den Schmerzmittelrückständen. Bei Doktor Fuentes hätte so ein Speed-Cocktail ein Vermögen gekostet. Ach ja, und am Wochenende kam noch raus, dass auf einem Hühnerhof in Brandenburg irgendein Vogelgrippe-Erreger gefunden worden sei, obgleich keines der 14.000 Tiere jemals Kontakt mit frischer Luft gehabt haben soll.
Unkontrollierte Wurstsuchtattacken
Schon eigenartig, was mit einem Menschen geschieht, der sich vier Jahrzehnte lang keinerlei Gedanken über sein Fleischverhalten gemacht hat: Zunächst einmal nämlich gar nichts. Obwohl ich seit Aschermittwoch heroisch ohne Schnitzel, Wurst und Döner lebe, spüre ich an oder in mir keinerlei Veränderung. Nur der Weg durch die Einkaufspassage vorbei an der Metzgerei hat eine neue olfaktorische Dimension. Das geballte Räucheraroma macht mich fast bewusstlos. Unkontrollierte Wurstsuchtattacken treten aber nicht auf, eher leichte Anzeichen von Reisekrankheit.
Verrückt allerdings ist, was um mich herum los ist. Kaum ist Gemüse mein Fleisch, scheint die Welt ein einziger Lebensmittelskandal. Doch ausnahmsweise gehöre ich mal nicht zum potentiellen Opferkreis. Pferde-Lasagne ist mir schlicht egal und die Debatte eigentlich auch. Befreiend, so ein Leben im Post-Fleisch-Modus. Obwohl – so ein Eckchen Eselsalami könnte ich ganz gut vertragen.
Der Entzug ist meist kein Problem. Das Leben ohne Kohlenhydrate, das ich vor drei Jahren mal versuchte, ist weitaus schwerer. Womit wir beim ersten ernsten Problem wären: Kann ja sein, dass ein fleischfreies Leben gesünder ist. Wer allerdings ein paar Scheiben Wurst mit Doppelzentnern Schokolade, Nudeln und Marmeladenschrippen kompensiert, wird schnell spüren, dass sich an der Hüfte sammelt, worauf man eigentlich verzichten wollte – tierisches Fett.
Für die Kinder Wiener Würstchen, für mich Petersilie
Beobachtung zwei: Das Speisenangebot im Paralleluniversum ist erschreckend limitiert. Käsebrötchen oder Ei-Stulle kann ich langsam nicht mehr sehen. Unsere heimischen Kochbücher basieren auf Zwei- und Vierbeinern sowie Schuppenträgern. Immerhin: Am Wochenende hat Mona eine solidarische Kartoffelsuppe gemacht. Für die Kinder gab es einen Teller Wiener Würstchen, für mich Petersilie als Einlage.
Weitere Verhaltensauffälligkeiten? Nein. Nur Hungerkoma in der Bahn. Meine klassische ICE-Bistro-Kombination aus Vollkornstulle und grünem Tee ist ja nun nicht mehr erlaubt, es sei denn, ich würde Salami und Pute vom Brot klauben.
Schmeckbare Spuren toten Tieres hätten aber immer noch am vollen Korn geklebt. Außerdem wirft man Esswaren nicht weg, schon gar nicht Pute. Nicht auszudenken, wenn Kinder so eine Hormonbombe in die Finger bekommen. Stattdessen ein Teller Farfalle mit Pilz-Sahne-Soße zu 8,90 Euro.
Kleiner Tipp an alle Bahnfahrer*innen: Dieses Gericht möglichst meiden! Was auf den Nudeln glibbert, ähnelt einer Flüssigkeit aus Pornofilmen, auch geschmacklich. Vielleicht sollte die Bahn mal vegetarische Spaghetti Bolognese anbieten. Da schmeckt man den Unterschied wenigstens kaum. Der große Salat Vital dagegen ist eine Bank, schon deswegen, weil man vor lauter Käseraspeln den Salat nicht sieht.
Einsamkeit auch in der Mittagspause. Weil ich beim Stamm-Dönermann nicht schon wieder Kichererbsen-Brei zum Lunch löffeln will, habe ich das Büro nach Weihnachtsresten durchforstet. Ausbeute: immerhin ein Marzipanbrot.
Morgen fange ich vorsichtig mit Gemüse an. Aber keine Aubergine, ganz wenig Zucchini und niemals Fenchel. Tomate und Gurke reichen als Einstieg, sofern der Mozzarella-Anteil überwiegt. Echte Veganer*innen verzichten auf Milchprodukte, hat Mona mich neulich wissen lassen. Schon recht, Schatz. Aber genießen und genießbar sein, hängen auch zusammen.