Wir treiben Sport, essen Super-Foods oder tragen Activity-Tracker. Auch Anna Achilles probiert alles aus – hat aber ihre Zweifel, ob diese Trends wirklich gesund machen und Gelassenheit schaffen. Was tun, damit der Stress nachlässt?
Ein kleines, schlichtes Steinhaus, von der Zivilisation weit abgeschieden. Um mich herum ein wunderschönes Bergpanorama. Ich stehe auf, wenn ich wach werde und schlafe, wenn ich müde bin. Mein Handy ist aus. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ohne Uhrzeit. Ich höre den Wind in den Baumwipfeln rauschen und die Grillen zirpen. Es war herrlich entspannend.
Pure Gelassenheit
Das war vor einem Jahr bei einem Kurztrip in einem französischem Provinznest. Es waren die erholsamsten fünf Tage, an die ich mich erinnern kann: Es gab dort weder fließend Wasser noch Strom. Zum Duschen sprang ich in den See, und auch die Toilette war gewöhnungsbedürftig: ein kleines, feines Plumpsklo.
Aber all das störte mich nicht. Denn so abgedroschen dieser Satz klingt: Zum ersten Mal fühlte ich, dass alles im Einklang miteinander war. Körper und Geist.
Ich habe oft das Gefühl, dass meine Generation viel für die körperliche Gesundheit tut. Wir treiben Sport, essen viel Gemüse und Obst, achten auf Kalorien und rauchen nicht. Aber vieles wirkt so angestrengt gesund. Wir haben zu viele Möglichkeiten.
Viel zu viel Stress
In meinem Bekanntenkreis leben viele vegetarisch oder sogar vegan. Die meisten waren schon mindestens einmal Mitglied in einem Fitness-Studio. Jede*r treibt Sport. Meine Facebook-Timeline ist voll von Mitteilungen, wie weit und wie schnell jemand gelaufen ist. Auf Instagram reihen sich Fotos von gesunden Quinoa-Avocado-Salaten und noch gesünderen Chia-Samen-Shakes aneinander.
Jetzt könnte man sagen: alles Selbstdarstellung. Oder man nennt es “sich gegenseitig motivieren”?
Wissenschaftler*innen der kanadischen York University haben herausgefunden: Meine Generation muss mehr tun, um ihr Gewicht zu halten, als es unsere Eltern in unserem Alter mussten. Bei gleicher Menge an verzehrter Nahrung waren die Menschen 2008 um zehn Prozent schwerer als 1971. Die Gründe dafür führen die Forscher*innen auf veränderte Umwelteinflüsse zurück.
Das Körpergewicht werde nicht nur durch Kalorienzufuhr und Bewegung beeinflusst, sondern zum Beispiel auch durch Stress. Und Stress haben wir in der heutigen Zeit genug: volle U-Bahnen, ständige Erreichbarkeit, befristete Arbeitsverträge, zu viele Optionen.
Jetzt machen wir uns noch zusätzlich Stress, besonders “ungestresst” zu sein. Wir tun und machen – dabei wäre es viel besser mal was “sein zu lassen”. “Gelassenheit kommt von lassen”, hat mal ein schlauer Mensch gesagt.
Laut dem “wissenschaftlichem Institut der AOK” (WIdO) sind Fehltage seit 1999 aufgrund psychischer Erkrankungen um 80 Prozent gestiegen. Ein gesunder Mensch besteht eben aus mehr als einem schlanken Körper. Auch unsere Seele will regenerieren.
Großer Stressfaktor: Das Smartphone
Ein großer Stressfaktor: Das Smartphone. Ich hatte meine persönliche Detox-Kur ganz unfreiwillig, als mein Handy geklaut wurde. Vier Wochen lebte ich offline. Anfangs war das unglaublich anstrengend. Wenn ich wohin wollte, musste ich erst den Weg zu Hause heraussuchen und auf ein Stück Papier schreiben. Wenn ich warten musste, griff meine Hand reflexartig dorthin, wo sie das Smartphone vermutete. Aber da war nur ein uraltes Nokia, ein notdürftiger Ersatz …
Doch nach ein paar Tagen setzte ein unglaublich befriedigendes Gefühl ein. Es war, als ob ich die reale Welt mitbekomme, während alle anderen auf ihr Display starren. Das ist mal ein Livestream: das Leben direkt vor meinen Augen. In 3D. Wow.
Mittlerweile bin ich wieder Smartphone-Besitzerin – und fühle mich prompt gestresst. Aber das Handy einfach mal nicht beachten? Schaffe ich auch nur selten. Was ich gelernt habe: Mir gelingt Stressabbau am besten in der Natur. Es muss nicht immer die französische Provinz mit Plumpsklo sein. Manchmal reicht es, sich aufs Rad zu schwingen und raus aus der Stadt zu fahren. Wie neulich, als ich am Ufer eines Sees in Brandenburg stand. Über mir lauschte ich leise dem Wind in den Blättern der Bäume. Ich stand einfach nur so da – und fing an mich zu entspannen.