Viele Läufer*innen können sich nicht mehr vorstellen, ohne Laufuhr zu laufen. Unsere Redakteurin Anna hat fünf Gründe, warum es gut ist die Uhr auch mal zu Hause zu lassen.
Schon mal überlegt, nackt zu laufen? Halt! Stopp! Ich meine natürlich nicht w i r k l i c h nackt. Also zieh die Hose jetzt wieder an. Mit nackt laufen meine ich, ohne Uhr eine Runde zu drehen.
Das nennt sich nämlich im Läufer*innen-Fachjargon „naked running“ und bedeutet strenggenommen nicht nur ohne Uhr oder Tracking-App, sondern sogar ohne Musik oder ähnlichen Schnickschnack Kilometer zu reißen. “Back to basics” sozusagen. Was für Jünger*innen der Selbstoptimierung reine Blasphemie sein muss, ist für andere nicht nur gut für den Kopf, sondern kann vor allem den (Wieder-)Einstieg erleichtern.
In Zeiten, in denen das ungeschriebene Gesetz im Netz lautet, „wenn du’s nicht postest, ist es nicht passiert“, sind Naked-Runners so rar geworden, wie Klopapier in den ersten Wochen der Corona-Isolation. Denn ein Beweisbild der Quälerei – ob von der Uhr, oder ein Screenshot aus der App – sind ohne die digitalen Begleiter nicht möglich. Dennoch wird die Läufer*innen-Spezies ohne Uhr, Kopfhörer oder Handy ab und an gesichtet.
Hier die Gründe, warum wir alle mehr ohne Lauf-Uhr laufen sollten.
1. Lernen der Intuition zu vertrauen: Mehr Gespür für den Körper und die eigene Leistung
Kann ich wirklich noch weitere drei Kilometer laufen, oder bin ich müde? Sollte ich einen Endspurt machen, auch wenn dieses Ziehen in der Wade seit fünf Minuten nicht nachlässt? Solche Fragen geraten schnell in den Hintergrund, wenn wir unser Laufgefühl und Gespür für den eigenen Körper mit den ständigen Blicken zum Handgelenk betäuben.
Klar, Zahlen beflügeln. Aber wer sie zu genau nimmt, kann schnell den Blick für das Wesentliche verlieren – die Gesundheit. Vom Gedanken an den nächsten Strava-Rekord getrieben pusht man sich vielleicht sogar noch über das eigene Limit, nur um eine bestimmte Kilometerzahl angezeigt zu bekommen, den Lauf-Buddy zu schlagen oder einmal im Leben die Pace von 3:50 Minuten zu halten. Man läuft am Ende mehr für den Tracker als für sich selbst, was in der Psychologie im Übrigen schon als eine leichte Abhängigkeit gilt.
Im ständigen Wettkampf mit der eigenen Leistung und benebelt durch unsere elektronischen Begleiter, steigt so nicht nur das Risiko sich zu verletzen, weil wir die Signale des Körpers leicht im elektronischen Rauschen unserer Tracker überhören. Wir verlernen auch auf unsere eigene Intuition zu hören.
Sogar Top-Athlet*innen wie die Marathon-Olympiasiegerin Joan Benoit Samuelson gehen skeptisch mit Technologie um. Die kleinen Helferchen sollten uns nicht bestimmen, sondern genau das bleiben: Helferchen.
2. Weniger Ablenkung – Fokus auf das Wesentliche
Viele Menschen schwärmen davon, dass man beim Laufen abschalten kann. So richtig. Hier lösen sie Probleme, haben die kreativsten Ideen – ohne es darauf anzulegen. Der Schriftsteller und passionierte Läufer Haruki Murakami beschreibt das in seinem Buch “Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede” so: „Ganz gleich, wie banal und alltäglich eine Tätigkeit sein mag, wenn man sie nur lange genug ausübt, bekommt sie etwas Meditatives oder Kontemplatives.“
Aber ist dieses meditative Lauferlebnis möglich, wenn die Uhr oder App uns mit ihren ständigen Notifications aus den Gedanken wirft, die gerade im vom Rhythmus leer gefegtem Kopf gedeihen? Unwahrscheinlich. Wer also den Kopf beim Laufen nicht mehr frei bekommt, kann mal probieren ohne elektronischen Schnickschnack zu laufen – bewirkt Wunder. Versprochen!
3. Wiedereinstig ohne künstlichen Druck
Wer kennt es nicht? Der erste Lauf nach einer längeren Pause bei einer gefühlt langsamen Pace und deine Laufuhr empfiehlt die erstmal 48 Stunden Pause zu machen. Motivierend? Wohl eher nicht. Deshalb ist gerade beim Wiedereinstieg zu empfehlen erstmal ohne Uhr zu laufen, damit der Formverlust mehr in der Lunge und den Beinen zu spüren ist, als im Kopf.
4. Minimalistisch und nachhaltig leben
Wer zu den seltenen Läufer*innen gehört, die sich noch keine Uhr oder Tracking-App zugelegt haben, könnte sich auch ganz dagegen entscheiden. Zumindest wäre das die umweltfreundlichste Variante.
Das soll natürlich nicht heißen, dass alle Läufer*innen, die gerne mit Tech-Ausrüstung spielen automatisch Umweltsündende sind. Aber diejenigen, die sowieso wissen, dass sie am liebsten ungetrackt laufen, müssen auch nicht dem allgemeinen Druck erliegen, eine Laufuhr zu kaufen, weil “wahre Läufer*innen” eine Uhr haben müssen. Läufer*in ist wer läuft. Das ändert auch kein Gadget. Oder anders gesagt, nur weil du eine Apple Watch hast, bist du noch lange kein*e Läufer*in.
5. Gewissheit über die eigenen Daten
Was machen eigentlich Runtastic, Garmin, NikeRunning und Co. mit unseren Daten, die wir ihnen, oft umsonst, zur Verfügung stellen? Sie werden gespeichert, so viel ist klar. Nur wo die Server stehen und wie sicher die Daten dort sind, leider oft nicht. Indem ihr auf die Laufuhr verzichtet, wisst ihr ganz genau, dass eure Daten da bleiben, wo sie hingehören – bei euch.