Ein weiteres Jahr geht zu Ende. Nein! Sogar ein Jahrzehnt. Grund genug, in der Vergangenheit zu wühlen und in Erinnerungen zu schwelgen. Unsere Redakteurin Anna hat sich angeschaut, was den Laufsport im letzten Jahrzehnt geprägt hat. Dabei hat sie sich in unserer Mini-Serie Wettkampfsport, Laufszene und Technologie unter die Lupe genommen. Heute ist der Wettkampfsport an der Reihe.
Da ist sie wieder. Die besinnliche Zeit zwischen den Jahren. Die Entschuldigung, sich den Bauch mit allen denkbaren Schweinereien vollzuschlagen und auf der Couch der Verwandtschaft zu versumpfen. Es ist diese Zeit, in der das schlechte Gewissen endlich mal abgeschaltet wird und man sich so richtig gönnen darf. Auch eine Laufpause *hust*.
Na gut, wir wollen nicht gleich übertreiben.
Natürlich gilt das nicht für alle. Es soll auch diese sonderbaren Seelen geben, die die Zeit zwischen den Jahren nutzen, um zu rekapitulieren und klar Schiff zu machen. Mit ihrem Leben versteht sich. „New year, new me“, heißt das auf Neudeutsch.
Keine schlechte Idee, haben wir gedacht und das Ganze auch mal versucht. Denn zu rekapitulieren gibt es viel. Nicht nur ein Jahr, sondern gleich ein ganzes Jahrzehnt. Wie immer ist eigentlich viel zu viel passiert, aber wir versuchen es trotzdem.
Heute der Rückblick zum Wettkampfsport, denn was wären die 2010er Jahre im Laufsport ohne die Weltrekorde von Eliud Kipchoge und Brigid Kosgei gewesen? Oder ohne die Debatte um Techno-Doping? Genau! Langweilig. Sehr, sehr langweilig. Deshalb hier unsere sehr unvollständige Liste der Dinge, die den Wettkampfsport in den 2010er Jahren geprägt haben.
1. Eliud Kipchoge läuft die Marathon-Distanz als erster unter zwei Stunden
Der 12. Oktober 2019 wird als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem der erste Mensch einen Marathon in unter zwei Stunden lief. Um genau zu sein in 1:59:40 Stunden. Eliud Kipchoge hat das geschafft. In Wien. Mit etwas Hilfe. Insgesamt 41 Pacemaker*innen wechselten sich immer wieder ab, schenkten Kipchoge so bis ins Ziel Windschatten und Support.
Ein bombastischer Erfolg! Der wird allerdings nicht als offizieller Weltrekord anerkannt, weil er unter „Laborbedingungen“ stattfand. Trotzdem lässt sich eines festhalten: Dieser Moment ist wohl genauso prägend für die 2010er Jahre im Laufsport, wie Britneys Glatze für die Popkultur in den 2000ern.
2. Marathon Weltrekorde wurden gebrochen – und wieder gebrochen – und wieder und wieder …
Nicht nur einmal oder zweimal … Nein! Gleich fünfmal. Bei den Männern verbesserte zuerst Patrick Makau den Weltrekord in Berlin auf 2:03:38 Stunden. Es folgten Wilson Kipsang mit 2:03:23 Stunden (2013), Denis Kimetto mit 2:02:57 Stunden (2014) und schließlich, der aktuelle Weltrekord – na, wer errät’s? richtig! – Eliud Kipchoge in 2:01:39 Stunden (2018). Fun Fact: Jeder dieser Weltrekorde wurden beim Berlin-Marathon aufgestellt.
Aber die Füchse unter euch haben sicher bemerkt, dass noch was fehlt. Genau! Nämlich der Weltrekord der Frauen. Den stellte die Kenianerin Brigid Kosgei 2019 in Chicago auf. In unglaublichen 2:14:04 Stunden lief die 25-Jährige ins Ziel. Damit verbesserte sie den ehemaligen Weltrekord von Paula Radcliffe um über eine Minute.
Was für ein Jahrzehnt!
3. Kein Zocken mehr: Unter der neuen Fehlstartregel bei Leichtathletik-Wettkämpfen leiden auch die ganz großen Namen
Seit 2010 ist sie da: Die Regel, vor der sich vor allem unsere lieben Sprinter*innen und Kurzstreckenläufer*innen gefürchtet haben. Athlet*innen werden von nun an nach dem ersten Fehlstart disqualifiziert. Davor war ein Fehlstart pro Rennen erlaubt. Das lud zu psychologischen Spielchen ein und verzögerte den Wettkampfablauf. Ab 2010 also kein Gezocke mehr.
Wohl berühmtestes Opfer der Regel: Das Goldkind der Leichtathletik Usain Bolt. Bei den Weltmeisterschaften im südkoreanischen Daegu (2011) disqualifizierte er sich mit einem deutlichen Fehlstart im Endlauf. Ein Schock, der Bolt-Fans weltweit das Entsetzen ins Gesicht trieb – na gut, übertreiben wir nicht … Aber war schon heftig.
Die Regel blieb und prägte die 10er Jahre in der Leichtathletik.
4. Diskussion um Technik-Doping: Pistorius und Nikes Vaporfly
Spätestens seitdem Oscar Pistorius 2012 bei den olympischen Spielen in London startete, ist sie entbrannt: die Diskussion um Techno-Doping. Der südafrikanische Athlet, der mit zwei Unterschenkelprothesen läuft, zog 2012 ins Halbfinale über 200 Meter ein und schrieb damit Geschichte. Das wäre heute so nicht mehr möglich.
Denn die Debatte um Techno-Doping, also die Übervorteilung von Athlet*innen durch mechanische Hilfsmittel, führte dazu, dass die IAAF 2015 eine neue Regel einführte. Böse Zungen behaupten, um sich nicht mit der Frage von Inklusion von Sportler*innen mit Behinderung im Profi-Sport befassen zu müssen. Nach der neuen Regel müssen Athlet*innen künftig nachweisen, dass ihnen Prothesen keinen Vorteil bringen. Das heißt, die Beweislast wird auf die Sportler*innen verlagert.
Wie schwer es ist nachzuweisen, dass Prothesen beispielsweise keinen Vorteil bringen, zeigt der Fall Markus Rehm. Der unterschenkelamputierte deutsche Weitspringer hatte 2016 sogar eine Studie vorgestellt, die zeigte, dass er keinen eindeutigen Vorteil durch seine Prothese erhält. Zwar sei sein Absprung effizienter, er habe aber einen Nachteil beim Anlauf, der maßgeblich zur Weite eines Sprungs beiträgt.
Als Beweis war das nicht genug. Bei den olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro startete Rehm „nur“ in der paralympischen Wertung, obwohl er zuvor einen Doppelstart erwogen hatte. Ob der Doppelstart 2020 in Tokyo zustande kommt, steht noch offen.
Aber die Diskussion um Techno-Doping nimmt immer weitere Dimensionen an und geht inzwischen weit über die Fragen von Inklusion hinaus. Stichwort: Nike Vaporfly.
Nikes berühmt-berüchtigter Schuh, der 2017 auf den Markt kam, bringt – genau wie sein Nachfolger alphaFly – die Gemüter in Wallung. Die Diskussion: Ist der voluminöse Schuh, mit einer Zwischensohle aus Kohlefasern, ein unfairer Vorteil? Angeblich wird das Zehengelenk, durch den versteifenden Effekt seiner Kohlefasersohle, stabilisiert. So geht weniger Energie beim Laufen verloren.
Beschwerde wurde bereits von Athlet*innen bei der IAAF eingereicht. Der Vorwurf: Wettbewerbsverzerrung. Ob das stimmt, ist bisher unklar. Zumindest laut einer, auf Strava-Daten basierenden Studie der New York Times, waren Läufer*innen, die den Vaporfly trugen circa drei bis vier Prozent schneller, als Läufer*innen ohne den Schuh.
Die Debatte bleibt spannend und wird mit Sicherheit auch den Wettkampfsport in den kommenden Jahren prägen!
Fazit: Was für ein Jahrzehnt!
Die 2010er Jahre im Wettkampfsport waren vor allem eins: aufregend! Wer hätte gedacht, dass Eluid Kipchoge der erste Mensch sein würde, der die Marathon-Distanz in unter zwei Stunden laufen würde. Oder, dass der Weltrekord der Männer gleich viermal verbessert würde? Oder, dass Brigid Kosgei den Rekord von Paula Radcliffe knackt? Wir bestimmt nicht.
Das alles macht uns nur noch gespannter auf die goldenen 20er! Wird der Marathon-Rekord weiter verbessert? Wie entwickelt sich die Diskussion um Techno-Doping weiter? Wer wird 2020 bei den Olympischen Spielen in Tokio überzeugen? Wir sind gespannt!