Wie bringt man das Laufen im stressigen Alltag unter? Unsere Redakteurin Anna hat sich in einem Gedankenexperiment gefragt, wie ein Lauf vor der Arbeit aussehen könnte. Raus kam eine Fantasiereise für Morgenmuffel.
Es ist 5:30 Uhr an einem Montag. Ein scheppernder Ton reißt dich aus dem Schlaf.
“Wecker um halb sechs? Anstrengend!”
Schon fängt es an: dieses Bereuen. Du fragst dich, was du dir zum Teufel dabei gedacht hast. Du bist doch kein Morgenmensch. Gedanken prasseln auf dich ein.
Den Wecker gegen die Wand pfeffern? Deine Lauch-Arme sind zu schwach.
Einfach umdrehen? An Wiedereinschlafen ist nicht zu denken! Wenn du wach bist, bist du wach.
Im schummrigen Licht deines klirrenden Tageslichtweckers erkennst du die fein säuberlich gefalteten Laufklamotten. Die warten auf dem Stuhl gegenüber deines Betts auf dich.
Stimmt! Die hast du doch gestern noch penibel ausgewählt.
Dann fällt es dir ein!
Die brandneuen Laufschuhe! Ja, genau die. Die Special-Edition, die du dir neulich gegönnt hast. Als Motivation, um wieder regelmäßig laufen zu gehen.
“Oh, diese Vorfreude auf neue Schuhe!”
In Gedanken strahlen sie mit dem Versprechen vieler, noch ungelaufener Kilometer, im Gang vor deiner Haustür. Schon ist es etwas leichter, die wohlig warme Bettdecke zur Seite zu schlagen und deine Füße auf den kühlen Dielenboden zu setzen. Es macht dir nichts aus, dass sich dein*e Partner*in etwas Unverständliches murmelnd zur Seite dreht. Auf Zehenspitzen schleichst du dich zum Stuhl und schnappst deine Sachen. Bevor du den Raum verlässt, drückst du den Knopf auf dem Wecker. Das schummrige Licht verblasst. Endlich Stille. Es müssen ja nicht alle unter deinem Vorhaben leiden.
“Moment! Nicht ohne deine Laufuhr!”
Die liegt noch auf deinem Nachttisch. Das wäre fatal. Natürlich muss deine Leistung dokumentiert und zumindest auf deiner Fitness-App –zumindest aber auf deinem Instagram-Feed – gewürdigt werden. Ist schon ein ziemlicher Flex, so früh morgens laufen zu gehen. Das soll ruhig die ganze Welt bewundern! Du schnappst dir die Uhr und ziehst die Tür zum Schlafzimmer leise hinter dir zu. Ab ins Bad.
Während du kurz die Zähne putzt – man könnte ja doch irgendwen treffen – versuchst du dich in deine Laufklamotten zu winden. Mit Zahnbürste im Mund ist das gar nicht so leicht. Irgendwie schaffst du es doch. Die Tights und dein Lieblingsshirt schmiegen sich wie eine zweite Haut an deinen Körper. Zur Krönung die Laufsocken mit denen du deine letzte Bestzeit aufgestellt hast. Die Erinnerung an deine PB zeichnet dir ein breites Grinsen aufs Gesicht. Noch schnell die Haare machen.
In der Garderobe ziehst du deine nagelneuen Schuhe an. Die sitzen wie angegossen. Du schlüpfst in deine reflektierende Jacke. Overdressed? Niemals. Schließlich dämmert es draußen. Außerdem will ich gesehen werden. Ehrlicherweise nicht nur aus Sicherheitsgründen. Das Schillern der Jacke ist aber auch einfach deluxe!
Jetzt noch die Kopfhörer auf die Ohren. Podcast an. Eileen von Achilles Running säuselt dir motivierende Laufgeschichten ins Ohr. Genau das, was du jetzt brauchst.
“Schlüssel mitnehmen!”
Du schließt die Türe leise hinter dir und gehst das Treppenhaus runter. Jetzt kurz die Luft anhalten und raus zur Eingangstür. Die kalte Luft umwickelt deinen Körper.
Du stellst deine Laufuhr ein und bist froh, dass du sie am Vorabend noch mit deinem Handy synchronisiert hast. So findet sie schneller ihr GPS. Während sie das Signal sucht, dehnst du dich kurz, atmest tief durch. Die kristallklare Morgenluft füllt deine Lungen und kondensiert beim Ausatmen zu weißen Wölkchen. Du reibst die Hände. Okay, jetzt siehst du aus wie eine Fliege. Doch noch die Handschuhe holen? Nein. Nicht heute. Du kannst es kaum abwarten loszulaufen und die Kälte abzuhängen. Endlich piept deine Uhr.
“Los geht’s!”
Du läufst unter Laternen deinem Schatten hinterher. Die leeren Straßen erstrecken sich vor dir wie eine eigene Welt, die dir alleine gehört. Na gut, an ein zwei anderen Läufer*innen ziehst du vorbei. Du grüßt sie, hebst die Hand unauffällig, gerade so, dass es die anderen sehen. Genau deshalb liebst du diesen Sport. Man versteht sich auch ohne viele Worte. Locker setzt du einen Schritt vor den anderen. Dein Körper fühlt sich leicht an. Der Boden fängt dich auf. So muss sich Schwerelosigkeit anfühlen.
Dein Blick wandert in Richtung Handgelenk. Deine Uhr zeigt eine Pace von 5:28 Minuten an. Genau der richtige Start in den Tag. So schaffst du die 5k sogar in weniger als einer halben Stunde.
Die Häuser fliegen an dir vorbei, wie im Zeitraffer. Du läufst der aufgehenden Sonne entgegen. Es ist nicht mehr dämmrig. Die Straßen sind in ein pastellfarbenes Spektrum aus Lila- und Orangetönen getunkt. Du tauchst ein in das Farbenspiel, lässt dich treiben durch die Schluchten der Stadt, verlierst dich ganz im Rhythmus deiner Schritte. Und bevor du nochmal auf die Uhr schaust, stehst du wieder vor deiner Tür. Das ging schnell. Fast zu schnell. Noch kurz dehnen. Die Muskeln strecken.
“Warum hast du nicht schon früher damit angefangen?!”
Dann rein in die warme Wohnung und ab unter die Dusche. Haare föhnen. Eincremen. Schnell in die Klamotten schlüpfen, die du auch am Vorabend rausgelegt hast.
Ab in die Küche. Dort warten die „Overnight-Oats“ auf dich. Schnell noch eine Banane stückeln, für das gewisse Extra. Achtung, nicht vor lauter Entspannung in den Finger schneiden!
Dein*e verschlafene*r Partner*in schleicht in die Küche. Du drückst ihm*ihr eine Tasse Kaffee in die Hand. Mhhh, lecker. Du fühlst dich aufgeladen, voller Energie. Der Tag kann kommen. Es ist 7 Uhr.
Guten Morgen!