Viele Freizeit-Marathonläufer nehmen Schmerzmittel, um ins Ziel zu kommen. Im Interview erklärt Arzt Alexander Hanke, selbst Marathonläufer und Triathlet, was schmerzlindernde Medikamente bringen und warum Schmerz wichtig ist für die Gesundheit.
Achilles Running: Herr Hanke, haben Sie schon mal gedopt?
Alexander Hanke: Nein, definitiv nicht.
Sie sind selbst Marathonläufer, Ironman-Triathlet – und Arzt. Sie wissen doch, was machbar ist.
Das sind die besten Voraussetzungen, legale Möglichkeiten so weit auszunutzen, wie es geht (lacht). Nein, ernsthaft, ich betreue als Arzt Profisportler und Kaderathleten. Da gibt es eine große Verantwortung, den Sport sauber zu halten. Und das fängt vor der eigenen Haustür an.
Aber es ist nicht immer ganz klar, was legal ist und was nicht.
Doch das ist relativ einfach. Die Nationale Antidopingagentur (NADA) listet auf ihrer Website alle Medikamente auf, und zeigt, ob sie erlaubt sind oder eben nicht.
Schmerzen unterdrücken und reduzieren
Für Nichtmediziner*innen ist die Liste aber kryptisch. Es passiert immer wieder, dass Athlete*innen ein Medikament einnehmen, das an sich erlaubt ist, aber zu hoch dosiert.
Ja, der Gewinnerin des Hannover-Marathons, Edinah Kwambai, wurde der Sieg aberkannt, weil sie das eigentlich erlaubte Asthmaspray Salbutamol eingenommen hatte – allerdings zu viel davon. Das Spray hebt bei Asthmatikern die krankhafte Verengung der Atemwege auf.
Die Atmung wird dadurch deutlich erleichtert. Nicht-Asthmatikern bringt es aber nichts. Für die Leistung ist es nicht förderlich. Sie hat auch nur eine Strafe von drei Monaten bekommen.
Nach einer Studie beim Bonn-Marathon 2009 gab jeder Zweite an, Schmerzmittel vor dem Start zu nehmen.
Die Zahlen aus Bonn halte ich für extrem hoch. Wir haben 2014 beim Hannover-Marathon rund 800 Läufer befragt. Da waren die Zahlen deutlich geringer. Rund ein Fünftel gab an, vor dem Start Schmerztabletten zu schlucken. Wir sind jetzt in einer neuen Studie dabei, eine höhere Anzahl von Läufern zu befragen, um noch bessere repräsentative Daten zu bekommen. Teilnehmen können alle Marathonläufer – egal, ob sie Medikamente nehmen oder nicht.
Welchen Effekt hat es, Schmerztabletten vor dem Start zu nehmen?
Keinen großen. Es macht nicht schneller. Diese Art von Schmerzmittel hat keinen leistungssteigernden Effekt. Im Training sind sie ineffektiv, da die Schmerzmittel den Muskelaufbau blockieren. Marathonläufer aber werfen diese Tabletten vorbeugend ein, weil sie so mögliche Schmerzen unter der hohen Belastung unterdrücken und reduzieren wollen.
Das Risiko, die Signale des Körpers zu überhören steigt
Die Marathonläufer*innen betäuben sich, um länger durchzuhalten?
Ja, das ist aber gefährlich, weil Schmerz auch immer ein Warnsignal ist, das etwas schief läuft. Das Risiko besteht darin, dass die Signale des Körpers überhört werden. So läuft man in Gefahr, sich schwerwiegender zu verletzen. Zudem gibt es Anzeichen dafür, dass die Gefahr steigt, Magenblutungen zu bekommen.
Kann man sagen, dass vor allem die leistungsorientierten Läufer*innen zu Schmerzmitteln greifen?
Nein, das zieht sich durch alle Läuferschichten und betrifft sogar die langsameren Teilnehmer jenseits der Vier-Stunden-Marke. Viele haben anscheinend das Gefühl, sie schaffen es nur so ins Ziel. Viele haben Angst, nicht zu finishen. Es gibt ja diesen Spruch: “DNF (Did not Finish) is not an option” Nicht ins Ziel zu kommen, ist keine Option.
Schmerzmittelmissbrauch ist übrigens auch bei Fußballern extrem verbreitet. Die Zahlen sind wahrscheinlich höher als bei Marathonläufern.
Wenn wir von Schmerzmitteln sprechen, was meinen wir dann genau?
Es sind die klassischen “Over-the-Counter”-Drugs, also rezeptfreie Medikamente wie Ibuprofen, Paracetamol oder der Aspirin-Wirkstoff Acetylsalicylsäure (ASS). Wobei Ibuprofen nur in geringer Dosierung frei verkäuflich ist, aber das umgehen die Leute, indem sie einfach mehr einwerfen.
Marathon wird unterschätzt
Haben Sie das Gefühl, dass den Läufer*innen die Risiken bewusst sind?
Nach den Ergebnissen der ersten Studie ist es so, dass diejenigen, die etwas nehmen, die Risiken auch geringer einschätzen, als die, die nichts einwerfen. Interessanterweise sagen viele aber, dass sie es nicht wieder tun würden.
Wird Marathon generell unterschätzt?
Absolut. Ich kann es ja verstehen. Marathon ist ein unheimlich tolles Erlebnis, das das Leben positiv prägen kann, weil man sieht, was der Körper imstande ist zu leisten. Bierwette heraus ohne Training an den Start geht, handelt grob fahrlässig. Das kann gut gehen, aber man riskiert längerfristige Schäden. Und wenn Läufer das Gefühl haben, dass sie Schmerzmittel brauchen, um ins Ziel zu kommen, sollten sie es lieber sein lassen.
Zur Person: Alexander Hanke ist Arzt und Wissenschaftler am Olympiastützpunkt Niedersachen und an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er ist mehrfacher Marathon-Finisher und Ironman-Triathlet.