Fast alle Größenangaben in Schuhen sind falsch. 87 Prozent aller Kinder in Deutschland tragen zu kleine Schuhe und schaden damit ihren Füßen. Zu diesem erschreckenden Ergebnis kommen die Studien von Wieland Kinz, Leiter des Forschungszentrums “Kinderfüße – Kinderschuhe” in Salzburg.
Seit seinem Studium beschäftigt sich der Sportwissenschaftler mit dem Thema Größen von Kinderschuhen und konnte sich zuerst selbst nicht erklären, warum so viele Sprösslinge zu kleine Schuhe tragen.
“Schließlich werden bei jedem Kauf die Füße der Kinder im Geschäft gemessen”, so Kinz. Diese Tatsachen gestalten für Eltern auch den Kauf von passenden Laufschuhen für den Nachwuchs extrem schwierig.
Enge Schuhe führen zu bleibenden Schäden
Nach über zwölfjähriger Forschungstätigkeit mit Messungen in Kindergärten sowie Schulen, unter anderem in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Irland und Finnland, weiß Wieland Kinz, weswegen so viele Kinder zu kleine Schuhe tragen:
“Zum einen sind die Größenangaben bei Schuhen generell auf der gesamten Welt nicht normiert. Wer einen Schuh entwickelt, kann seine Hausnummer als Größe hineinschreiben, und keiner könnte ihn deswegen verklagen.”
Ohne einen Kontrollmechanismus der tatsächlichen Größe verliert diese Angabe ihre eigentliche Bedeutung. “Als wir vor sechs Jahren die ersten katastrophalen Zahlen veröffentlichten, waren wir uns sicher, dass dies ein Umdenken bei den Eltern und den Herstellern auslösen würde. Aber es ist nichts passiert.”
Dabei führt zu enges Schuhwerk zu bleibenden Schädigungen der Füße. “Nachgewiesenermaßen entsteht dadurch ein Hallux valgus, der Großzeh verschiebt sich, was sehr schmerzhaft werden kann”, erklärt der Experte, indem er auf ein mögliches Problem hinweist.
Inwieweit sich das zu kurze Schuhwerk bei Kindern auf die Kniegelenke, die Wirbelsäule, die Hüfte oder das Bewegungsverhalten der Kinder auswirkt, ist noch nicht untersucht.
Warum gibt es keine Standard-Größen?
Nicht nur bei Straßen-, sondern ebenso bei Sportschuhen ist es deshalb wichtig, Kinderfüße in eine für sie passende Größe zu betten.
“Wir stellen Kinderschuhe in EUR-, UK- oder US-Größen her, das heißt, dass diese Schuhe nicht genormt sind”, sagt Laura Sokowicz für den Sportartikel-Produzenten New Balance.
Sie rät darum zu einer individuellen Fußgrößenmessung sowie zur Beratung durch den Fachhändler. “Neben den messbaren Größen wie Länge und Breite sollte ein Kind immer ein paar Meter mit dem Schuh laufen, um zu spüren, ob es sich darin wohlfühlt.”
Auch das Unternehmen Asics macht sich zu der Thematik reichlich Gedanken. “Das Wichtigste ist, dass die Größe bei Kindersportschuhen passt und richtig überwacht wird”, sagt Linus Weistropp, Product Manager Footwear von Asics.
“Wir haben dafür eine ganz neue herausnehmbare Einlegesohle mit Links-und-Rechts-Differenzierung entwickelt, die genau die optimale Zone für die Platzierung der Zehen und Ferse anzeigt.”
Für eine große Auswahl an Schuhen für Nachwuchsläufer ist Nike bekannt. “Die standardisierten Größen sind ein sehr komplexes Thema mit vielen Feinheiten und ebenso vielen Meinungen”, sagt ein Sprecher. ?Wir tun unser Bestes, um ähnliche Formen und Größen bei allen Modellen zu produzieren.”
Genug Raum für die Füße
Unterschiede entstehen laut Nike vor allem aufgrund der verschiedenen Herstellungsprozesse und verwendeten Materialien. Daneben sei ein gut sitzender Schuh vom individuellen Empfinden jedes Kindes abhängig.
“Und manche Eltern bevorzugen Laufschuhe mit viel Platz an den Zehen, damit sie nicht ständig neue kaufen müssen, anderen wollen die exakt passende Größe.” Nike rät dazu, bei Laufschuhen stets eine halbe bis eine ganze Zehenlänge Platz zu lassen.
Genug Raum zu lassen, ist ebenfalls die Empfehlung des Kinderfuß-Experten Wieland Kinz. Ein Spielraum von mindestens 12 bis maximal 17 Millimetern sei für Laufschuhe richtig.
Zudem sollten die Ballen gut durch ein Schnür- oder Klettsystem fixiert sein, und der Schuh muss um die Ferse gut anliegen.
Viele alltagstaugliche Tipps hat er außerdem rund um die Größenmessung, die Eltern am besten selbst durchführen: Alle drei bis vier Monate die Kinderfüße auf einem Stück Pappe aufmalen und einen Strich an der Ferse und einen an der längsten Zehe ziehen.
Hinzu addiert wird der Spielraum von zwölf Millimetern, anschließend schneidet man die Schablone aus und legt sie in den Schuh.
Passt sie flach hinein, ist die Größe korrekt, biegt oder wellt sie sich, ist der Schuh zu kurz. Diese Messung kann auch mit einem von dem österreichischen Forschungsteam entwickelten Gerät namens “Plus 12” durchgeführt werden.
So geht der Sohlentest
Gerade bei Laufschuhen eignet sich der Sohlentest. Dazu nehmen die Eltern die Einlagen der Sportschuhe heraus, stellen den Kinderfuß anderthalb Zentimeter vor der hinteren Kante darauf und kontrollieren, ob vor den Zehen noch ein 12 bis 17 Millimeter großer Spielraum ist.
?Wer die Laufschuhe online kauft, sollte auf eine Angabe der Schuh-Innenlänge in Zentimetern bestehen”, rät Kinz. Für den Fuß-Fachmann gehört daneben das zu einem Training für Kinderfüße.
“Unsere Studien zeigten, dass Schuhe die Beweglichkeit der Füße um bis zu 30 Prozent einschränken und der Fuß dadurch destabilisiert wird”, erklärt er.
Mithilfe von barfuß ausgeführten Laufübungen wird die Muskulatur des Fußes gekräftigt. Sogar die durch Socken ausgelöste, veränderte Zehenstellung schränkt die Füße in ihrer Bewegungsfreiheit ein, selbst wenn ihr Träger sie als bequem empfindet.
Neben seiner Forschungsarbeit rund um das Messen von Kinderfüßen und Schuhgrößen ist Wieland Kinz zusammen mit seinem Team deshalb dabei, Socken zu entwickeln, die dem Fuß den benötigten Freiraum geben. Außerdem ist er auf der Suche nach kooperativen Marathonveranstaltern:
“Ich würde gerne die Füße und Schuhe der Top-100-Läufer untersuchen, denn Lauf-Profis wissen meist genau, was ihren Füßen guttut ? und von ihren Erfahrungen könnten die Kinder profitieren!”
Gastbeitrag von Anne Kirchberg von “RUNNING – das Magazin” – erscheint monatlich.