Warum schnüren Millionen von Menschen in der Welt tagtäglich ihre Sportschuhe? Weil Laufen glücklich macht. Doch was genau löst das Gefühl von Wohlbefinden, Enstpanntheit, ja sogar Euphorie aus? Spoiler: So genau weiß das niemand. Auch nicht die Wissenschaft, was es mit den Endorphinen auf sich hat.
Seit mehr als 40 Jahren werden die Endorphine für die Glücksgefühle beim Sport verantwortlich gemacht – und das, obwohl diese Theorie schon seit Jahrzehnten umstritten ist. “Niemand weiß sicher, ob das Wohlbefinden beim Sport von Endorphinen ausgelöst wird”, sagt Sportmediziner Fernando Dimeo. “Es ist eine einfache, plakative Behauptung, die nicht zu beweisen ist.”
Endorphine sind Schmerzstiller, keine Wohlfühler
Vieles spricht sogar gegen die Endorphin-Theorie, denn die körpereigenen Morphine sind eigentlich Schmerzstiller und keine “Wohlfühler”. Sie sollen Extremsituationen erträglicher machen.
“Aber ob sie auch dafür sorgen, dass man den Marathon mühelos bewältigt, ist unwahrscheinlich. Das Glücksgefühl entsteht im Gehirn, nicht im Körper”, sagt Dimeo. Endorphine wurden aber bislang nur im Blut nachgewiesen, ins Gehirn drängen sie nicht.
Laut Dimeo gibt es andere “heiße Verdächtige”, die für das Wohlbefinden sorgen könnten. Verdächtige Nummer eins: Endocannabinoide. Das sind körpereigene Substanzen, die den Menschen in einen rauschhaften Zustand versetzen können, ähnlich wie Cannabis.
Sie binden sich an Dockstellen im Gehirn, die eigentlich für andere Zellen vorgesehen waren. Sportliche Aktivität, so lautet die These, führe zu einer vermehrten Ausschüttung von körpereigenen Cannabinoiden.
Laut Aderhold und Weigelt steige somit das Wohlbefinden. Man spüre weniger Schmerz und weniger Ängstlichkeit.
Glückshormone und der Flow-Moment
Verdächtige Nummer 2: Serotonin, Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. Wer Sport treibt, erhöht die Menge an Serotonin und anderen Botenstoffen wie Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin. Diese werden oft auch als “Glücks”-Hormone bezeichnet und sollen für die bessere Stimmung verantwortlich sein.
Bei dem dritten Verdächtigen im Bunde dreht sich alles um wiederkehrende, rhythmische Bewegungen. Viele Läufer*innen berichten von einem “Runner’s High”; einem rauschähnlichen Zustand, in dem alles fließt und man quasi “von alleine läuft”.
Wer öfter mal länger läuft, wird auch das folgende Phänomen kennen: Dass Probleme nach einem längeren Lauf plötzlich nicht mehr ganz so negativ wahrgenommen werden wie vorher, obwohl sich objektiv an der Situation nichts geändert hat oder dass man auf neue Ideen kommt.
Die gleichbleibenden, rhythmischen Bewegungen haben anscheinend einen positiven Effekt auf die Psyche. Auch in der Traumatherapie macht man sich dieses Phänomen zunutze. In der EMDR-Therapie (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) werden die Patient*innen mit traumatischen Erlebnissen konfrontiert.
Gleichzeitig sollen die Patient*innen die Augen hin- und herbewegen. Diese Augenbewegung führt anscheinend dazu, dass sich das Gehirn neu sortiert, das Negativerlebnis integriert und als Vergangenes abspeichert.
Wohlbefinden durch Rhythmus
Die EMDR-Therapie klingt einfach und ist sehr effektiv. “Man muss nicht unbedingt die Augen bewegen, um einen Effekt zu erzielen”, sagt Dimeo. Die EMDR-Therapie funktioniere auch mit Tönen oder rhythmischen Hand- beziehungsweise Fußbewegungen.
*Tack, Tack, Tack, Tack* – auch beim Laufen scheint es, diese rhythmische Stimulation durch die Schrittfolge zu geben. Es könnte also sein, dass derselbe Mechanismus, der bei der EMDR-Therapie zur Geltung kommt, auch fürs Laufen gilt.
Warum tut Sport gut? Sind es wirklich Endorphine? Die Frage ist zwar wissenschaftlich noch nicht eindeutig beantwortet, scheint aber vielen auch egal zu sein. Kaum eine*r scheint die positive Wirkung von sportlicher Bewegung infrage zu stellen.
Die Frage, die sich viele eher ständig stellen, ist: Warum treibe ich nicht mehr Sport, obwohl ich weiß, dass er mir gut tut? Diese Frage kann sich jede*r nur selbst beantworten.