Läufer*innen sollten ihre Faszien trainieren. Wir zeigen euch Übungen für das Faszientraining, erklären wie man das Bindegewebe dehnt und warum Gehpausen die Achillessehnen schonen.
Der menschliche Körper ist umhüllt von einem faserigen Netz aus Bindegewebe, den Faszien. Es ist eine Art Verpackungsmaterial, das den Muskeln Form gibt. Elastische Faszien sind mitentscheidend für das Wohlbefinden und die Fitness, da spröde, steife oder beschädigte Faszien Verspannungen, Verklebungen und damit Schmerzen verursachen können – oft durch Überbelastung oder Stubenhocken.
Es ist ein wenig so wie bei der Weißwurstpelle. Faszien halten alles zusammen. Ob der Oberarm straff oder wackelpuddingartig aussieht, hängt im Wesentlichen von der Spannung dieser Hülle ab
Dr. Robert Schleip von der Universität Ulm im Achilles-Interview
Läufer*innen, die zu schnell mit dem Laufen beginnen, kennen das vielleicht. Manchmal leiden sie unter Schmerzen in den Unterschenkeln. Das liegt daran, dass die Muskeln schneller gewachsen sind als die umhüllende Weißwurstschicht, also die Faszien.
Mit Faszientraining Läuferknie und Reiterknochen vorbeugen
Ambitionierte Läufer*innen können Faszien sogar ertasten. An der Außenseite ihrer Oberschenkel ist häufig ein drei bis vier Finger breites straffes Band, das weh tut. Das ist nicht der Muskel, sondern eine von der Belastung verdickte Faszie. Bei den Läufern ist es als Runner’s Knee oder Läuferknie bekannt. Cowboys haben diese Schmerzen übrigens an der Innenseite – hier spricht man vom Reiterknochen.
Daher ist neben dem Kraft- und Ausdauertraining auch ein regelmäßiges Faszientraining nötig. Dabei reiche aber ein bis zwei Mal die Woche, sagt Robert Schleip. Wichtig sei nur, dass die Belastung relativ hoch ist, damit die Faszien aktiviert werden.
Muskeltraining ist wie ein Dimmer: Je mehr sie trainiert werden, desto mehr kommt raus – innerhalb eines bestimmten physiologischen Fensters. Faszientraining ist wie ein Kippschalter, der verrostet ist. Man muss ihn nur einmal deutlich stimulieren, dann herrscht Licht für die nächsten Tage.
Dr. Robert Schleip
Was Läufer tun sollten: dehnen und hüpfen
- Federnde Bewegungen: Mittlerweile wird wieder das propagiert, was ältere Menschen noch von früher kennen: leicht federnde, hüpfende (Ganzkörper-) Bewegungen. Das aktiviert die Vernetzungen von Faszien und wirkt sich auch auch die beteiligten Muskeln positiv aus.
- Langkettiges Dehnen: Schleip rät dazu, Muskeln nicht, wie oft in Laufbüchern empfohlen, isoliert zu dehnen. “Statt die Wade einzeln zu dehnen, sollte man gleich das Gesäß, den unteren Rücken und idealerweise die Fußsohle mit dazu nehmen.” Herauskommen yoga-ähnliche Bewegungen.
- Lautloses Springen: Selbst im Alltag kann man etwas für seine Fasziennetz tun. Man sollte sich vornehmen, ab und zu, nicht jeden Tag, die Treppe hurtig und betont lautlos hoch zu flitzen. Eine Art Ninjatraining. aber selbst Tanzen,
- Gummitwist oder ein paar lautlose Hüpfer zu Hause bringen die Faszien in Bewegung. Mit möglichst wenig Geräusch, sagt Schleip. “Dann benutzen sie die langkettigen Faszien an Fußsohle und Beinrückseiteund trainieren die Elastizität der Faszien. Und je elastischer sie sind, desto mehr Bewegungsenergie können die Faszien speichern.
Gehpausen schonen Achillessehnen
Was die wenigsten wissen: Das Bindegewebe hat ein Kriechverhalten. Es leiert also vorübergehend aus. “Wenn Sie die Achillessehne mit tausend Schritten belasten, verlängert sie sich vorübergehend, so wie bei einer Weingummischlange. Die Knochen hauen aufeinander und das tut weh.” Der ein oder andere Marathonläufer wird das kennen.
Abhilfe schaffen Gehpausen. “Wenn man die Sehne ein bis drei Minuten anders belastet, kann sie sich wieder erholen und ist wieder saftig elastisch, wie ein Schwamm, der sich wieder vollsaugen kann”, der das regelmäßige Abwechseln von Laufen und Gehpausen für den Marathon empfiehlt, liege da nicht so falsch”, sagt Schleip. “Auch wenn er die Pausen anders begründet.”
Bewegungsvariationen: Läufer*innen neigen dazu, sich den perfekten Laufstil aneignen zu wollen. Doch es ist auch wichtig, diese an sich optimalen Bewegungsformen zu variieren: Auch mal seitwärts, rückwärts, im Hohlkreuz oder nach vorne gebeugt laufen. Damit möglichst viele Faszienstrenge aktiviert werden.
Die vier Prinzipien des Faszientrainings
- Rebound Elasticity – der Katapult-Mechanismus
- Fascial Stretch – das Dehnen langer Ketten
- Fascial Release – Eigenbehandlung mit der Rolle
- Propriozeptives Refinement – sinnliche Bewegungen
1. Rebound Elasticity – der Katapult-Mechanismus
Nicht nur beim Hüpfen oder Laufen, sondern auch beim Gehen und Werfen entsteht ein erheblicher Teil der Bewegungsenergie aus der dynamischen Federung – dem Katapult-Effekt der Faszien.
Faszien-Übung: Fliegendes Schwert
Wichtig bei den Rebound-Elasticity-Übungen ist die so genannte vorbereitende Gegenbewegung (= Peitschen-Pendelbewegung). Die Arme werden nach hinten geführt und die Bewegung proximal – also mit dem Brustbein – initiiert.
Mit einer leichten zeitlichen Verzögerung bewegen sich die Arme und der Oberkörper schwungvoll nach vorn und unten. Achtung: Mit wenig Gewicht arbeiten und ein Hohlkreuz vermeiden, also auf eine stabile Lendenwirbelsäule achten.
2. Fascial Stretch – das Dehnen langer Ketten
Charakteristisch für Fascial-Stretch-Übungen sind endgradig dreidimensionale und wippende Bewegungen. Der Grund: Faszien lieben es, in alle Richtungen gezogen und gedehnt zu werden.
Faszien-Übung: Flamingo Stretch
Beim Melting-Stretch wird die Position für etwa eine Minute lang gehalten und schmelzend gedehnt. Zusätzlich innerhalb der Position kleine Richtungswechsel nutzen, um auf die faszialen Netzwerkstrukturen einzuwirken.
3. Fascial Release – Eigenbehandlung mit der Faszienrolle
Die lösenden Techniken sind bereits aus der Manualtherapie bzw. dem Rolfing bekannt. Bei der Eigenbehandlung übernimmt die feste Schaumstoffrolle die Aufgabe des Behandlers.
Faszien-Übung: Blackroll in Rückenlage
Schon bei der ersten Roll-yourself-Runde melden sich meist deutlich schmerzhafte Stellen, die nach einer weiteren langsamen (!) Wiederholung spürbar geschmeidiger und durchlässiger werden.
Durch das Rollen lösen sich fasziale Adhäsionen und Verdickungen, die Gewebe werden durchfeuchtet, der Körper wird beweglicher, das Körpergefühl verbessert sich, und die Schmerzen lassen nach. Die Technik eignet sich auch für Sportler und als Therapie bei orthopädisch-degenerativer Erkrankungen.
4. Propriozeptives Refinement – sinnliche Bewegungen
Unseren Körper nehmen wir hauptsächlich über unsere Faszien wahr – und je besser unsere Körperwahrnehmung ist, desto besser werden unsere Bewegungsabläufe. Neu ist, dass sich eine gute Körperwahrnehmung direkt und positiv auf muskuläre Schmerzen auswirkt.
Ziel der sinnlichen, in sich hineinspürenden Bewegungen ist es, die blinden Flecken im Körper (wie bei chronischem Rückenschmerz) und/oder schwer spürbare Bereiche (wie nach Operationen und Traumen) wieder in das eigene Körperbild zu integrieren.
Faszien-Übung: Kobra Spine
Du stehst hüftweit mit der Betonung auf den Außenseiten der Füße in einem stabilen Stand. Beuge den Oberkörper aus den Hüftgelenken heraus halbhoch in den Raum nach vorn, und ziehe den Unterbauch nahe an die Lendenwirbelkette heran. Halte diese Spannung während der gesamten Übung. So spannst Du – über die fasziale Verbindung des tiefen Bauchmuskels in die tiefe Schicht der Lumbarfaszie – ein stützendes Netz um die Lendenwirbel. Die Hände auf die Oberschenkel aufstützen, das Brustbein nach vorn öffnen und die Schulterblätterspitzen tief Richtung Gesäß ziehen.
Aus dieser Grundposition heraus die Wirbelkette zusätzlich langziehen, also den Scheitelpunkt nach vorn in den Raum hinaus verlängern und im Gegenzug dazu die Sitzbeine nach hinten in den rückwärtigen Raum hinausschieben.
Nun nimmst Du wellenförmige Bewegungen entlang Deiner Brustwirbelkette auf. Du kannst mit einer fließenden Vor- und Rückbewegung zwischen den Schulterblättern nach vorn Richtung Brustbein beginnen. Wechsle die Bewegungsrichtung in seitliche Pendelbewegungen und Achterschleifen, die sich bis an die Achseln ausbreiten können. Du kannst dich auch – von den Brustwirbeln ausgehend – mit winzigen Mikrobewegungen zwischen einzelne Rippen und in deren elastisches Fasziennetzwerk hineintasten.
Du eroberst dir also, im wahrsten Sinne des Wortes, eine Wirbelschlange und einen flexibel-elastischen Brustkorb zurück. Möglicherweise hilft die Vorstellung, du würdest Wasser an der Wirbelkette entlang sowie innerhalb des Brustkorbs hin und her bewegen.