Alle wollen älter werden, aber keiner möchte alt sein. Im Interview erklärt der Altersforscher Christoph Englert, warum Stress das Leben verlängert und welche Rolle die Gene beim Altern spielen.
Achilles Running: Herr Englert, Sie sind 51 Jahre alt. Wie alt fühlen Sie sich?
Christoph Englert: Gute Frage, ich würde mal sagen: Mitte 40.
Die Menschheit versucht ständig, den Prozess des Alterns aufzuhalten. Ist das sinnvoll?
Einerseits brauchen wir Menschen Illusionen, und die der ewigen Jugend gehört dazu. Andererseits ist es uns schon gelungen, den Alterungsprozess in gewisser Weise zu verlangsamen. Und viele Vorstellungen sind gesellschaftlich geprägt.
Jugend-Fixiertheit und Alterskrankheiten
Warum hat das Altern ein so schlechtes Image?
Dieses Phänomen gilt vor allem für die westliche Kultur. Es gibt viele Länder in Asien, wo ältere Menschen ein viel positiveres Image haben. Ich glaube, dass das Bild auch schon bei uns ins Wanken geraten ist.
Die heutige Jugend-Fixiertheit ändert sich langsam. Einfach schon deshalb, weil es immer mehr Alte und weniger Junge geben wird.
Ältere Menschen werden häufiger krank. Insofern ist die Angst vor dem Älterwerden schon berechtigt.
Das Risiko an altersbedingten Krankheiten wie Krebs oder Alzheimer zu erkranken, nimmt im Alter zu. Das kann man nicht leugnen. In der Gruppe der Über-95-Jährigen leidet jeder Dritte an Alzheimer.
Gibt es eine Altersspanne, in welcher der Prozess des Alterns besonders schnell vonstatten geht?
Wenn wir die reproduktive Phase zwischen 40 und 50 Jahren abgeschlossen haben, beginnt im Allgemeinen die Anfälligkeit für Alterskrankheiten.
Die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, steigt zum Beispiel mit dem Alter in der fünften Potenz. Das heißt, bis zu einem gewissen Alter sind wir vor Krebs quasi geschützt und dann nimmt die Anfälligkeit dramatisch zu.
Frauen leben länger als Männer
Welche Rolle spielen die Gene beim Alterungsprozess?
Ich bin mal provokativ und sage: Der Einfluss der Gene liegt bei hundert Prozent. Was ich meine: Die Gene setzen uns einen gewissen Rahmen für das Alter, das wir erreichen können.
Ob wir es tatsächlich erreichen, hat mit der Umwelt zu tun, mit unserem Verhalten, unserer Aktivität. Wenn Ihnen genetisch gegeben ist, dass Sie 120 Jahre alt werden könnten, Sie aber wie ein Wahnsinniger rauchen, schöpfen Sie diesen Möglichkeitsraum vielleicht nicht aus.
Gleichzeitig gibt es Menschen, die eine Veranlagung in sich tragen, dass sie mit 45 einen Dickdarm-Tumor entwickeln. Die kommen auch bei bester Lebensführung nicht gegen diese genetischen Determinanten an. Generell gilt: Es ist kein Gegeneinander, sondern ein Miteinander von Genen und Umwelteinflüssen.
Die Menschen werden immer älter. Wie alt können wir denn werden?
Es gibt einen Trend, den wir seit rund 150 Jahren beobachten: Die Menschen in den westlichen Industrienationen werden pro Jahr im Durchschnitt drei Monate älter.
Zwar ist dieser Trend ungebrochen, aber in den USA scheint die Kurve bereits abzuknicken. Vermutlich hängt das mit der Fettleibigkeit zusammen.
Nach aller Erfahrung liegt der Grenzwert bei etwa 120 Jahren. Ich glaube nicht, dass es in hundert Jahren jemanden geben wird, der 150 wird. Das scheint aus heutiger Sicht unmöglich.
Warum leben Frauen eigentlich im Durchschnitt länger als Männer?
Frauen und Männer altern tatsächlich unterschiedlich. Männer haben sechs Jahre weniger Lebensspanne als Frauen. Warum das so ist, ist unklar. Sehr wahrscheinlich spielen die Hormone und damit letztlich auch wieder die Gene eine Rolle.
“Es ist nie zu spät für Veränderung”
Altern wir schneller durch Stress?
Da muss man unterscheiden: Negativer Stress, also Ärger mit den Arbeitgeber*innen, eine schlechte Ehe oder Probleme mit den Kindern, ist sicherlich schlecht. Positiver Stress, also ein voller Tag mit erfreulichen Terminen, dagegen ist lebensverlängernd.
Wenn Sie etwa Fliegen oder Mäuse unter Stress setzen, leben diese länger. Das gilt sogar für die Verabreichung an sich giftiger Substanzen in geringen Mengen. Die Tiere aktivieren Abwehrsysteme und werden mit Herausforderungen besser fertig. In Maßen kann Stress also positiv wirken.
Es gibt immer wieder Menschen, die im hohen Alter Unglaubliches leisten, und regelmäßig Sport treiben. Das allein hat einen positiven Einfluss aufs Leben.
Man sollte sich also – egal in welchem Alter – immer wieder neue Herausforderungen suchen?
Das ist meine ganz persönliche Philosophie. Dass Menschen im hohen Alter körperlich und geistig abbauen und deswegen sportlich oder künstlerisch nichts mehr können, ist schlicht falsch. Man sollte sich neue Herausforderungen suchen, und dann schafft man das auch.
Zur Person: Christoph Englert (51) ist Professor für Molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Altersforschung in Jena. Englert treibt nach eigener Aussage intensiv Sport, seit er 12 Jahre alt ist. Seine Lieblingssportarten sind Schwimmen, Radfahren und Laufen. Seine Marathonbestzeit liegt bei sehr guten 2:58:50 Stunden. Seine nächsten sportlichen Ziele sind “ein paar lange Läufe und Triathlons”. Sein Tipp für alle, die bald die magische Altersgrenze 50 erreichen: “Nicht zu ernst nehmen.”