Beim Canicross bilden Läufer*in und Hund eine Einheit. Der Hund zieht den Menschen quasi zu Bestzeiten. Lauf-Trainer Ingo Babbel will den Sport in Deutschland populärer machen. Er erklärt, was Läufer*innen beachten müssen und wie sie trainieren sollten.
Achilles: Herr Babbel, was ist Canicross?
Ingo Babbel: Canicross ist der Geländelauf mit Hund. Der Sport kommt aus dem Zughundesport. Die Idee ist, dass der Hund den Läufer über den gesamten Zeitraum zieht und der Läufer sich an der Geschwindigkeit des Tieres orientiert.
Der Läufer wird vom Hund gezogen und wird schneller?
Unsere Spitzenläufer, die sonst 16 Minuten auf 5000 Meter Cross laufen, also mit fast 19 Stundenkilometer unterwegs sind, brauchen mit Hund weniger Zeit: nur 12 bis 13 Minuten.
Das sind ja Leistungssteigerungen wie beim Doping.
Ja, aber ganz legal. Es ist die Summe der Leistungen. Aber diese zwölf Minuten muss man erst mal laufen. Da ist hartes Training nötig ? auch ohne Hund.
Wie haben Sie das erste Mal Canicross erlebt?
Es wird jedem am Anfang so gehen, dass er sich am Tag nach dem ersten Mal nicht mehr auf die Toilette setzen kann vor lauter Muskelkater. Und wenn, kommt er nicht mehr hoch (lacht).
“Laufen und Canicross sind zwei verschiedene Sportarten”
Wie unterscheidet sich das Canicross-Training vom normalen Lauf-Training?
Es ist eine andere Trainingsmethodik erforderlich; ich muss ganz andere Intervalle trainieren. Wenn ich mit dem Hund laufe, entsteht eine ganz andere Belastung auf den Körper. Durch den Zug des Hundes habe ich als Läufer eine viel längere Flugphase. Es fühlt sich fast an wie beim Dreisprung. Man muss sich natürlich einerseits auf den Hund einstellen, aber andererseits auch viele Trainingseinheiten ohne Hund absolvieren.
Welche Muskelpartien muss ich denn besonders trainieren?
Die Belastung auf die Oberschenkel wird durch den langen Schritt intensiver. Der Hund zieht ständig, da brauche ich Kraft in den Beinen, um dem etwas entgegenzusetzen. Untrainierte Läufer würden einbrechen.
Drohen da nicht schwere Verletzungen für den Läufer?
Es ist wichtig, dass die gesamte Stützmuskulatur trainiert wird. Unerfahrene Läufer würden chronische Probleme in den Achillessehnen, in den Waden, den Knien, Oberschenkeln und dem Lendewirbelbereich bekommen. Und es ist wie bei anderen Sportarten auch. Je höher die Intensität und das Leistungsniveau, desto stärker muss man Verletzungsprophylaxe betreiben.
Ist Canicross für den Hund gefährlich?
Nein. Der Hund trägt ein spezielles Zuggeschirr, weil er ja über einen längeren Zeitraum Kraft aufwendet. Ohne Spezialgeschirr würden Fehlentwicklungen oder muskuläre Verspannungen drohen. Die zwei Meter lange Leine hat einen Rückstoßdämpfer, damit der Hund nicht verletzt wird, wenn der Läufer plötzlich stehenbleibt.
Werde ich durch das spezielle Canicross-Training auch schneller, wenn ich alleine laufen?
Das kann ich nicht direkt sagen. Im Grunde sind das normale Laufen alleine und Canicross zwei verschiedene Sportarten. Aber ich kann mir vorstellen, dass durch die höhere Beanspruchung beim Laufen mit Hund das generelle Durchhaltevermögen geschult wird ? was ich womöglich auch abrufen kann, wenn ich ohne Hund laufe. Vor allem im Crosslauf bringt es sicher viel, weil die Muskulatur bei Steigungen und Abgängen besser steht.
“Ein Schlittenhund ist der Marathonläufer unter den Hunden”
Beim Canicross sind Hund und Läufer ein Team, das sich auf ein Tempo einigen muss. Der Hund ist aber um einiges schneller als der Mensch. Wie finde ich die goldene Mitte?
Sie können das Tempo variieren und sind dem Hund nicht ausgeliefert. Durch den speziellen Gurt können sie im Grunde alles mitteilen. Wenn Sie nicht mehr können, hängen sie sich mehr in die Leine rein. Der Hund muss dann mehr arbeiten und passt sich Ihrer Geschwindigkeit an.
Wie hoch ist die Unfall- und Stolpergefahr?
Solange der Hund vorläuft und unter Zug steht, haben Sie die Kontrolle. Unfälle passieren fast nur, wenn der Hund nebenher joggt. Da kommt dann irgendwas von links oder rechts und der Hund läuft mir zwischen die Beine. Das passiert oft. Wenn der Hund vor mir läuft und nach links oder rechts ausweicht, kann ich das immer über mein Körpergewicht regeln. Ein trainierter Hund ist aber relativ spursicher und hört auf Kommandos.
Ich muss während des Laufs ständig mit dem Hund kommunizieren. Ist das nicht eine zusätzliche Belastung für den Läufer?
Wenn Sie auf einem hohen Niveau Sport treiben, haben sie den Tunnelblick. Normalerweise sind Sie alleine und konzentrieren sich ganz auf sich. Es ist also viel Vertrauen in den Hund nötig. Sie möchten verbale Kommandos so weit es geht vermeiden, damit Sie nicht Ihren Atemrhythmus verlieren. Wenn das Vertrauensverhältnis da ist, reicht ein kurzes Ziehen an der Leine oder schnelle Handzeichen für die Richtungsanzeige. Der eigene Hund merkt sogar Stimmungsschwankungen, Stress oder Ärger des Herrchen oder Frauchens.
Im vergangenen Jahr haben Sie zusammen mit dem Profi-Hundeschlittenführer Herbert Thinnes ein ganz spezielles Trainingslager eingerichtet. Sie haben die Schlittenhunde von Herrn Thinnes mit zehn Spitzen-Mittelstreckenläufer zusammengebracht und tolle Erfolge bei Canicross-Wettkämpfen erzielt. Wie haben die Läufer reagiert, als Sie von der Idee erzählt haben?
Die Läufer waren erst neugierig und dann alle begeistert. Ich habe zehn Läufer animiert und Herbert Thinnes hat die passenden Hunde ausgesucht. Ein Schlittenhund ist ja quasi der Marathonläufer unter den Hunden. Herr Thinnes hat den Läufern erklärt, wie man man mit den Hunden umgeht, sie motiviert und unter Zugzwang hält. Die Läufer mussten sich an die höhere Grundgeschwindigkeit des Hundes anpassen.
Sie haben sogar Ihr eigenes Rennen veranstaltet, den 1. Canicross Run Nettetal.
Unser Ziel ist es, den Canicross-Sport in Deutschland und jedem die Möglichkeit geben, Canicross unter Wettkampfbedingungen auszuprobieren. Deshalb achten wir darauf, dass die Veranstaltung für Breitensportler offen bleibt – auch wenn die Rennen mit manchen Welt- und Europameistern sportlich teilweise auf einem hohen Niveau waren. Dieses Jahr hoffen wir auf noch mehr Teilnehmer, Unterstützer und Zuschauer.