Die Berliner Psychotherapeutin Marieta Erkelens läuft mit Depressiven: Denn Sport kann dazu beitragen, die Krankheit zu vertreiben. Im Interview mit Achilles Running erklärt Erkelens, wie sie Depressive motiviert und weshalb Gruppenzwang helfen kann.
Achilles Running: Frau Erkelens, Sie therapieren seit rund 20 Jahren Depressive mit Ausdauersport. Kann man vor der Depression weglaufen?
Maria Erkelens: Ganz so einfach ist es sicher nicht. Wobei Untersuchungen gezeigt haben, dass Menschen, die regelmäßig laufen, weniger an Depressionen erkranken, als Menschen, die nicht sportlich aktiv sind.
Warum ist Laufen so wirksam gegen Depressionen?
Da ist zum einen die körperliche Komponente: Der Körper wird gut durchblutet, der Stoffwechsel verändert sich positiv. Viel entscheidender ist aber, dass Menschen, die unter Depressionen leiden, schon lange keine Erfolgserlebnisse mehr hatten. Sie haben das Gefühl: Ich kann nichts. Ich erreiche nichts. Beim Laufen erfahren sie, dass sie Stück für Stück besser und fitter werden.
“Nach dem Joggen im Wald sind alle viel gelöster”
Selbst Nicht-Depressiven fehlt oft der Antrieb, in den Wald zu gehen und Sport zu treiben. Wie gelingt es Ihnen, dass Ihre Teilnehmer*innen regelmäßig zum Lauftreff erscheinen?
Nur mit reinem Lauftraining locken wir niemanden in den Wald. Deswegen haben wir ein Programm aufgestellt, wo auch viele Spiel-, Spaß- und Entspannungsmomente vorhanden sind. Ein ganz wichtiger Faktor ist dabei aber auch das Gruppengefühl. Die Gruppe motiviert. Auch wenn man mal keine Lust hat, rafft man sich doch auf, da man die anderen nicht warten lassen will. Und wenn man den inneren Schweinehund überwunden hat und einmal dort ist, dann hat man viel geschafft.
Wirkt die Gruppe nicht abschreckend auf die meisten?
Depressive haben ein unglaubliches Bedürfnis, wieder lachen zu können und fröhlich zu sein. Es ist erstaunlich, wie schnell eine lockere und entspannte Atmosphäre entsteht. Der Hallenwart von der Halle, an der wir uns treffen, sagt auch: “Was macht ihr da im Wald? Wenn ihr wiederkommt, sehen alle viel gelöster und fröhlicher aus.” Das ist auch unsere Erfahrung. Bereits während der Trainingseinheit verändert sich ganz viel bei den Leuten.
Die Stimmung ist also überhaupt nicht ernst und angespannt?
Man denkt, eine Gruppe von Depressiven ist ein vor sich hin muffelnder Haufen – überhaupt nicht. Wir betonen immer wieder: Eine Sporttherapie ist keine Psychotherapie. Das heißt, wir besprechen keine dahinter liegenden Probleme. Hier geht’s darum, etwas für sich zu tun, etwas Schönes zu erleben. Es ist ein kleiner Urlaub von den stressigen Momenten zu Hause.
Wer kommt vermehrt zu Ihnen?
Das Verhältnis von Frauen und Männer ist relativ ausgewogen. Im Gegensatz zu der Psychotherapie, wo mehr Frauen zu finden sind. Der Altersdurchschnitt liegt bei etwa 44 Jahren, also eher die etwas Älteren. Jüngere haben mehr Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen. Auch ein Faktor: Die Depressionen nehmen im Alter zu, die Abwehrkräfte lassen nach.
“Probleme sind immer schneller als man selbst”
Welche Veränderungen spüren die Patient*innen langfristig?
Bei unseren Kursen stellt sich schon nach ein, zwei Monaten eine Veränderung auf der Depressions-Ebene ein. Die Teilnehmer*innen merken, dass sie allmählich kräftiger und ausdauernder werden.
Die Muskeln bauen sich auf, das Treppensteigen fällt leichter. Sie entwickeln ein besseres Körpergefühl, die Ängste und auch die körperlichen Beschwerden nehmen ab. Ein weiterer positiver Faktor des Sports ist, dass der Mensch bemerkt, dass es ihm durch sein eigenes Handeln, durch seine eigene Anstrengung besser geht. Das ist der große Unterschied zu einer Pille, die mir womöglich auch hilft, mich aber abhängig und passiv macht.
Wie hoch ist die Gefahr, dass Menschen “laufend” vor ihren Problemen flüchten?
Die wirklich hartnäckigen Probleme holen einen wieder ein. Die sind schneller. Und wenn man fällt, haben sie einen im Griff, etwa in Form einer Verletzung – dann bleibt womöglich kein Ausweg mehr, als sich mit ihnen zu beschäftigen.
Reicht Laufen als Therapie aus?
Das hängt von der Schwere der Depression ab. Sport kann in einzelnen Fällen dazu führen, dass man aus der Depression herausfindet. Es gibt aber auch Patient*innen, die schwerwiegende Probleme haben, die eher in einer Psychotherapie behandelt werden sollten.
Wie oft muss man denn laufen, damit sich ein positiver Effekt dauerhaft einstellt?
Ich rate jeder*m, die*der eine Depression hat, wenigstens einmal am Tag rauszugehen, selbst wenn es nur ein Spaziergang um den Block ist. Nicht einsperren – raus! Durch das Sporttherapie-Programm soll sich das Gefühl einstellen: Wenn ich Sport treibe, geht’s mir hinterher besser. Im günstigsten Fall führt das zu einem lebenslangen Sporttreiben.
Zur Person: Marieta Erkelens, Jahrgang 1953, arbeitet als Psychotherapeutin in Berlin. Seit rund 20 Jahren bietet sie mit ihrem Kollegen Wolf Bahr Laufkurse für Menschen mit Depressionen oder depressiven Verstimmungen an. Infos zu den Kursen in Berlin findet ihr unter der Telefonnummer 030/45 02 44 10.