In der Schwangerschaft laufen – geht das? Und nach der Geburt? So schnell wie möglich wieder loslegen? Sportmediziner Prof. Dr. Klaus Jung erklärt im Interview die wichtigsten Regeln – und hat auch für die Väter einen Rat.
Achilles Running: Herr Jung, neulich sorgte eine Amerikanerin für Schlagzeilen, weil sie hochschwanger einen Marathon lief und wenige Stunden danach ein Mädchen zur Welt brachte. Riskierte die Frau das Wohl ihres Kindes?
Klaus Jung: Der Fall ist mir nicht im Detail bekannt. Aber ich weiß von mehreren anderen schwangeren Frauen, die überzeugt waren, dass ihnen das Laufen nicht schadet. Ich rate den Frauen aber, nicht erst während der Schwangerschaft mit dem Laufen zu beginnen. Außerdem sollte man darauf verzichten, Wettkämpfe mitzumachen. Es besteht sonst die Gefahr, dass es zu einer Überhitzung des Fötus? kommt. Auch ein Sauerstoff- oder Glukosemangel könnte dem Ungeborenen schaden.
War der Marathon-Start für die Frau selbst nicht gefährlich?
Ich kenne einen anderen Fall aus den USA, eine Frau, die im neunten Monat noch 70 Kilometer pro Woche lief. Sie brachte einen gesunden Jungen zur Welt und ist noch am Tag der Geburt wieder gelaufen. Theoretisch kann sich aber auch die Mutter durch Überhitzung schädigen. Die richtige Kleidung und viel Trinken sind daher für sportliche Schwangere besonders wichtig. Doch wie gesagt: Von besonders intensiven Belastungen rate ich ab.
Durch Sport zu mehr Schmerztoleranz
Ist der Körper nicht schon von der Schwangerschaft an sich genug beansprucht?
Die körperliche Belastung während einer Schwangerschaft entspricht einem täglichen 10-km-Lauf. Der Körper der Frau muss sich auf die Schwangerschaft einstellen. Es kommt zu funktionellen und organischen Veränderungen, die vergleichbar sind mit denen, die regelmäßiger Sport auslöst.
Was genau verändert sich?
Das Blutvolumen und die Herzmasse nehmen zu, die Herzschlagzahl erhöht sich, die Atmung wird verstärkt, weil mehr Sauerstoff gebraucht wird. Das sind alles Veränderungen, die mit dem zusätzlichen Gewicht zusammenhängen, das die Frau zu tragen hat.
Können werdende Mütter ihren Körper für diese Belastung trainieren?
Das Herz-Kreislauf-System kann durch Ausdauersport auf die höhere Belastung vorbereitet werden. Es gibt aber auch Frauen, die Sport ablehnen, weil sich sonst ihr Beckenboden verhärtet. Frauen, die schon vor der Schwangerschaft Sport gemacht haben, sagen aber häufig, dass sie die Geburt dadurch besser überstanden haben.
Können Sie das erklären?
Durch Sport werden in der Muskulatur Endorphine freigesetzt. Das erhöht die Schmerztoleranz.
Empfehlen Sie Schwangeren, Sport zu machen?
Auf jeden Fall. Es kommt aber auf die Sportart an und auf die Phase der Schwangerschaft. Im dritten und vierten Monat ist die Gefahr am größten, dass das Kind verloren geht. Frauen sollten dann keinen Sport machen, der Körpererschütterungen verursacht, also Turnen oder – ich übertreibe jetzt mal – Trampolin springen.
“Die Schwangerschaft ist Training”
Welcher Sport ist geeigneter?
Radfahren, Wandern, Schwimmen, aber vor allem Gymnastik: Beckenbodentraining, Atemtraining, also das, was in Kursen zur Geburtsvorbereitung angeboten wird.
Bis zu welchem Schwangerschaftsmonat können Frauen aktiv bleiben?
Gymnastik können sie bis zur Geburt machen. Schwangere Läuferinnen berichten oft, dass sie ab dem siebten Monat wieder aufdrehen. Und nach der Geburt fühlen sie sich sogar leistungsfähiger, obwohl sie weniger intensiv trainieren – weil die Schwangerschaft selbst schon ein Training ist.
Sollte eine Frau nach der Geburt nicht erst mal eine Sportpause einlegen?
Das hängt davon ab, wie aktiv die Frau vorher war. Sinnvollerweise sollte sie aber schon bald nach der Entbindung mit der Wochenbettgymnastik beginnen. Das regt den Kreislauf an und verhindert Thrombose. Nach drei, vier Wochen kann man mit Schwimmen anfangen, das lockert den Körper. Und nach acht Wochen ist es möglich, ein Krafttraining aufzunehmen. Damit ist aber nicht Gewichtheben im Fitnessstudio gemeint, sondern Rückbildungsgymnastik, die mit dem eigenen Körpergewicht arbeitet.
Wirkt es sich positiv auf das Kind aus, wenn die Mutter Sport macht?
Dazu gibt es keine wissenschaftlichen Befunde. Sportliche Frauen verhalten sich aber meist insgesamt gesünder, was auch dem Kind zugute kommt.
Trauen die Männer ihren schwangeren Frauen zu wenig zu?
Ganz bestimmt. Vor allem sollten wir Männer dem Gespür der Frau vertrauen und uns nicht anmaßen, es besser zu wissen.
Zur Person: Prof. Dr.Klaus Jung, Jahrgang 1942, war Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Gutenberg-Universität Mainz. Nach seiner Pensionierung 2007 gründete er eine Akademie für gesunde Lebensführung und ganzheitliches Körpermanagement. Jung ist selbst aktiver Langstreckenläufer und Organisator von Deutschlandläufen (1100 Kilometer in 20 Tagen).