Barfußlaufen macht schneller, oder? Sportmediziner Dr. Matthias Marquardt erklärt, warum Läufer*innen, die ihre Schuhe regelmäßig ausziehen, bessere Leistungen zeigen, weniger Verletzungen haben – und was man nicht tun sollte.
Achilles Running:* Herr Marquardt, Sie empfehlen Läufer*innen, die Schuhe im Training ab und an auszuziehen. Warum?
Dr. Matthias Marquardt: Viele Läufer beschränken sich darauf, Oberschenkel, Gesäß und Waden zu trainieren. Doch wer richtig schnell werden will, braucht kräftige Füße und muss diese entsprechend trainieren, etwa durch Barfußlaufen.
Barfußlaufen hilft also zur Wettkampfvorbereitung?
Unbedingt. Wir haben vier Muskeln, die uns abdrücken beim Laufen: Gesäßmuskel, Oberschenkel-Strecker, die Waden-Muskulatur sowie die Strecker im Fuß, die bis in die Zehenspitzen reichen.
Die sportliche Leistung wird durch das schwächste Glied in der Kette determiniert und nicht durch die drei stärksten Glieder – insofern ist ganz entscheidend, keine Muskelgruppe zu vernachlässigen. Gut trainierte Füße sichern die Leistung ab, die man sich hart erarbeitet hat. Außerdem gilt ja die alte Regel: Ein Läufer, den man unverletzt durch die Saison gebracht hat, wird von alleine schneller.
Heißt das denn, wer die Schuhe mal weglässt, läuft auch verletzungsfreier?
Vorausgesetzt, dass man das Barfußlaufen sorgfältig und langsam beginnt, ist ein gut gekräftigter Fuß die beste Versicherung gegen Fersensporn und Achillessehnenentzündungen.
Das Barfußlaufen setze ich auch gerne als letzten Therapieversuch bei Patienten ein, die unter Schienbeinkantensyndrom leiden. Chronisch verletzte Athleten konnte ich so über monatelanges, strukturiertes Training wieder fit machen für den Laufsport.
Wie fängt man am besten an mit dem Barfußtraining?
Läufer sollten sich wenigstens zwölf Wochen Zeit nehmen, um ganz behutsam ins Training einzusteigen. Dazu habe ich Trainingspläne entwickelt, die man kostenlos im Internet herunterladen kann.
Denn ich habe immer wieder Patienten in der Praxis, denen ich das Barfußlaufen empfehle und die dann mit einer Achillessehnen-Entzündung wiederkommen – weil sie das Training übertrieben haben.
Muss man denn bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wenn man mit dem Barfußtraining beginnt?
Wenn man wenig verletzungsanfällig ist und klein anfängt, gehen keinerlei Gefahren vom Barfußlaufen aus – schließlich ist es die natürlichste Art, sich zu bewegen. Es gibt aber eine große Gruppe von Läufern, die durch jahrelanges Laufen in Schuhen mit dicker Dämpfung und hohen Absätzen verkürzte Waden und extrem schwache Fußmuskeln haben.
Damit denen beim Barfußlaufen nicht die Achillessehne um die Ohren fliegt, habe ich einen medizinischen Trainingsplan erstellt, der mit mehr Wadentraining und Stretching einhergeht.
Wem raten Sie vom Barfußlaufen eher ab?
Bei massiven Fußfehlstellungen oder akuten Achillessehnen- und Fersensporn-Beschwerden kann ich es nicht empfehlen. Und Diabetikern, die Gefühlsstörungen an den Füßen haben, sollten auch nicht barfuß laufen.
Was ist ein geeigneter Ort für das Barfußtraining?
Am besten ist ein weicher, natürlicher Untergrund. Meine Favoriten sind Fußballplatz, Golfplatz oder Sandstrand. Aber bitte nicht anfangen, auf Asphalt barfuß zu laufen oder auf der Schotterbahn – das tut weh, macht keinen Spaß und ist ungesund.
Im Fachhandel wächst der Anteil der Schuhe, die angeblich ein Gefühl “wie barfuß” vermitteln. Können diese Schuhe ihr Versprechen halten?
Ich unterscheide zwischen Straßenfußtrainern, zum Beispiel den “Nike free”, die extrem flexibel sind und auf Asphalt gelaufen werden können und richtigen Fußtrainern mit extrem dünner Sohle wie etwa den “Fivefingers” von Vibram.
Letztere schmeiße ich mit Barfußlaufen in einen Topf, weil sie gar keine Dämpfung haben und für die Straße nicht geeignet sind. Für Läufer, die nicht mit ganz nackten Füßen trainieren wollen, sind sie eine gute Alternative.
Man sieht immer wieder Läufer*innen, die solche Schlappen sogar im Wettkampf tragen.
Ja, aber sie sind dafür nicht tauglich, da sie nicht fest genug sind und zu wenig Traktion bieten.
Wie lange sollte so eine Barfuß-Einheit eigentlich dauern?
Ich bin einmal mehr als zwei Stunden in Fußtrainern den Strand runter gelaufen – hinterher hatte ich einen so heftigen Muskelkater in den tiefen Waden, dass ich das schon als Zerrung verbucht hatte.
Mit zehn Jahren Barfußlauferfahrung sage ich daher: Kein Mensch muss das länger als eine halbe Stunde machen. Es sei denn, er ist ein Freak.
Zur Person: Dr. med. Matthias Marquardt ist Arzt, Triathlet und Marathonläufer. Er hat mehrere Bücher zum Thema Laufen geschrieben.
* Um die Antworten des Interviewpartners nicht zu verfälschen, werden lediglich die Fragen gegendert.