Viele Läufer*innen joggen mit Musik. Wenn sie dabei allerdings die falschen Kopfhörer tragen, können sie ihrem Körper sogar schaden, sagt Ulrich Conrady. Der Musiktherapeut erklärt, wie er mit Mozart schon die Fußballer von Hertha BSC Berlin trainiert hat.
Herr Conrady, stimmt es, dass Sie durch Musik Sportler*innen leistungsfähiger machen können?
Ulrich Conrady: Durch Musik alleine wäre das kaum möglich. In der Schalltherapie, die ich mit den Sportler*innen mache, fungiert die Musik aber als Träger: Durch sie können Schallwellen das vegetative Nervensystem erreichen – und dort die inneren Bremsen lösen, die Sportler*innen aufgebaut haben.
Wie kann man sich so eine Trainingseinheit vorstellen? Lümmeln die Sportler*innen im Sessel und der Schall macht sie ganz nebenbei besser?
Man kann während der Therapie tun, was man möchte. Auf dem Sofa liegen, am Computer sitzen oder schlafen. Die Athlet*innen haben große Kopfhörer auf und hören Musik, die sie sich ausgesucht haben.
Ein Spezialgerät moduliert die Musik dann so, dass die Schallwellen dem Gehirn signalisieren: Du befindest dich in höchster Sicherheit.
Gibt es Musik, die sich dazu besser eignet als andere?
Mozart funktioniert sehr gut, weil seine Musik ein großes Hörspektrum an Frequenzen bietet. Händel ist auch prima. Generell ist Klassik geeigneter als etwa Heavy Metal.
Und dann legen Musik und Schall im Kopf einen Schalter um?
So in etwa. Wir wirken mit der Therapie direkt auf bestehende neuronale Schaltkreise ein. Die Schallwellen stellen im Gehirn die Balance wieder her. Dadurch werden die Sportler*innen konzentrationsstärker, sie regenerieren schneller und sind sogar weniger verletzungsanfällig.
Bei Mannschaften hat es außerdem positive Effekte auf das Team-Building. Allerdings passiert im Spitzensport gerade in diesem Bereich immer noch sehr viel Unsinn.
Wie meinen Sie das?
Das Gehirn kann nur in einer sicheren Umgebung soziales Verhalten lernen. Freizeit-Pädagog*innen klettern trotzdem regelmäßig mit Sportmannschaften fürs Team-Building in den Bäumen herum.
Ein Affe hat da oben eine sichere Umgebung, aber ein Mensch doch nicht! Eine mentale Bremse lässt sich auch nicht durch Sprache lösen, sondern allein durch Neuro-Coaching, also Stimulation oder Beruhigung bestimmter Nerventeile sowie das Einwirken auf neuronale Schaltkreise.
“Hohe Stressphasen können bis zum Burnout führen”
Welchen Sportler*innen konnten Sie durch so ein Coaching schon helfen?
Zum Beispiel den Fußballern von Hertha BSC Berlin, die nach Beginn der Schalltherapie zunächst auch sehr erfolgreich spielten. Mit dem damaligen Trainer Friedhelm Funkel war später im Abstiegskampf aber nicht mehr viel umzusetzen – der denkt einfach anders.
So hat es für den Klassenerhalt leider nicht gereicht. Unter Trainer Markus Babbel wurde die Therapie wieder fortgesetzt. Christian Fiedler, der Torwarttrainer, führte die Übungen an meiner Stelle in der Saisonvorbereitung aus.
Können Sie auch Einzelsportler*innen besser machen?
Biathletin Magdalena Neuner hatte ein paar Probleme mit ihren Lauf- und Schießleistungen. Wir haben dann eine Schalltherapie mit ihr gemacht – und siehe da: Sie schaffte ein paar Tage später die Olympianorm. Ausgeschlafen geht’s eben besser.
Schalltherapie verbessert also auch den Schlaf?
Grundsätzlich ja. Denn in den Tiefschlaf fallen wir nur, wenn unser Organismus die Umgebung als sicher wahrnimmt und wenn unser vegetatives Nervensystem im Gleichgewicht ist.
Fehlt diese Balance, haben wir hohe Stressphasen, die bis hin zum Burnout führen können. Der Organismus will dann keine Leistungen mehr erbringen, sondern nur noch überleben.
Er bremst uns aus. Eine Schalltherapie kann das Gefühl der Sicherheit wieder herstellen, der Körper findet Entspannung und kann die Bremsen wieder lösen.
“Was ist so schlimm daran, wenn die Vögel zwitschern?”
Lassen wir die Schallwellen mal beiseite. Kann uns auch Musik alleine zu besseren Sportler*innen machen?
Musik ist auf jeden Fall eine Stütze zu größerer Leistungsfähigkeit. Sie ist, wie das Lesen eines Buches, ein wichtiger Teil zur Selbstberuhigung. Ein Klassik-Live-Konzert etwa ist für den Organismus etwas außergewöhnlich Gutes.
Ganz wichtig aber: Das Ohr ist nicht für den Direkt-Schall geeignet. Manche sind so verrückt, dass sie sich die Stöpsel des MP3-Players direkt in den Gehörgang stecken und loslaufen.
Es gibt Wissenschaftler*innen, die sagen, dass Musik Sportler*innen pusht.
Na klar! Alle Athlet*innen, mit denen ich arbeite, hören Musik. Aber sie stecken sich keine Stöpsel in den Gehörgang, sondern benutzen große Kopfhörer. Wir haben dazu Untersuchungen gemacht und festgestellt: Ohrstöpsel verursachen Stress.
Warum ist das so?
Die Ohrmuschel hat die Aufgabe, den Schall zu modulieren. So gelangen tiefe Frequenzen außen aufs Trommelfell und hohe in der Mitte. Mit Stöpseln landen alle Frequenzen dagegen querbeet auf dem Trommelfell, was das Gehirn nicht ohne erheblichen Stress verarbeiten kann – Stress hoch drei. Wenn ich die Jogger*innen im Park sehe, frage ich mich aber sowieso: Was ist so schlimm daran, wenn die Vögel zwitschern?
Zur Person: Lerntherapeut Ulrich Conrady, entwickelte sein Konzept der Audiovisuellen Wahrnehmungsförderung (AVWF) ursprünglich, um seinem autistischen Sohn zu helfen. Inzwischen suchen nicht nur gestresste Manager*innen und Eltern lerngestörter Kinder seine Therapiezentren auf, sondern auch viele Leistungssportler*innen: zum Beispiel Box-Weltmeister Marco Huck, Skispringer Martin Schmitt oder die Deutsche Handball-Nationalmannschaft. Auch im Ausland wächst das Interesse an Conradys Erfindung: Neuerdings trainieren auch Österreichs Skispringer*innen nach der AVWF-Methode.