Immer häufiger geben selbst erfolgreiche Sportler*innen zu, dass sie unter dem Burnout-Syndrom leiden – darunter auch Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno. Sport-Psychologe Oliver Stoll erklärt, ab wann Sporttreiben krank macht.
Achilles Running: Herr Stoll, Triathlon-Olympiasieger Jan Frodeno hat mal in einem Interview gesagt, er habe ein Burnout-Syndrom gehabt. Gibt es diesen einen Moment, an dem hohe Leistungsbereitschaft ins Ungesunde kippt?
Oliver Stoll: Burnout passiert nicht von heute auf morgen, das ist ein schleichender Prozess. Es heißt ja immer: Sportler*innen dürfen keine Schwächen haben, sie sind “Weicheier”, wenn sie mal nicht mitziehen. Das ist wirklich nicht hilfreich. Da kann der Leistungssport noch was dazulernen. Wichtig ist vor allem, dass Sportler*innen sich selbst beobachten und einschätzen lernen.
Wie hätte sich Frodeno schützen können?
Schwer zu sagen, ob er wirklich im klinischen Sinne ein Burnout hatte. Frodeno ist Profi, er wirkt auf mich nicht so, als könne er nicht mit Niederlagen umgehen. Generell können Sportler*innen ein längeres Formtief nur eine gewisse Zeit ertragen. Sportler*innen, die vor dem Ende ihrer Karriere stehen, sind eher gefährdet. Die haben oft die irrationale Überzeugung, noch was reißen zu müssen und denken gleichzeitig darüber nach, was nach dem Sport kommt. Wenn dann das Verhältnis zwischen Anstrengung und Ergebnis nicht mehr stimmt, rutschen sie in eine Burnout-Situation.
Ist für Profi-Sportler*innen das Risiko, auszubrennen genauso groß wie bei Normalbürger*innen im Beruf?
Da gibt es schon Parallelen, wir haben das ja schon bei Profi-Fußballer*innen und Skispringer*innen gesehen. Ausbrennen passiert dann schneller, wenn mehr dranhängt als die eigenen Bedürfnisse, zum Beispiel Geld oder eine Abhängigkeit zu sozialen Beziehungen.
Wie sieht es bei Hobby-Sportler*innen aus?
Bei Freizeit-Sportler*innen haben wir das Burnout-Syndrom seltener. Sie suchen sich ja ihren Sport aus, es zwingt sie ja niemand dazu. Aber es gibt ja noch den ambitionierten Hobbybereich. Ich bin selbst viel Marathon gelaufen und kenne die magische Drei-Stunden-Grenze.
Damit gewinnt man keinen Blumentopf, aber die will man einfach irgendwann mal knacken. Und wenn man trainiert und trainiert, und man kratzt immer an der 3:01, 3:02 und schafft es einfach nicht, dann kann das schon dazu führen, dass man irgendwann ausbrennt.
Sind Menschen, die Extrem-Sportarten wie Marathon oder Triathlon machen, ohnehin verrückt? Übertreiben sie es?
Personen, die 20 Stunden in der Woche laufen, sind genauso verrückt oder nicht verrückt wie andere, die 20 Stunden Fußball spielen oder im Wasser verbringen. Was sie gemeinsam haben, ist ein hohes Leistungsmotiv und eine bestimmte Persönlichkeitsausprägung. Sie denken zudem, dass das, was sie tun, bedeutsam ist.
Den meisten dient Sport zum Stress-Ausgleich – kann Sport denn auch Stress verursachen?
Hoch leistungsmotivierte Personen sind meist auch Perfektionist*innen mit anspruchsvollen Zielen. Viele können aber nicht mit den negativen Emotionen umgehen, wenn sie ihr Ziel mal nicht erreichen. Dann geraten sie in eine Negativspirale von Selbstgesprächen und Hoffnungslosigkeit – sie machen sich schlechter als sie sind.
Und wenn das, was sie in ihren Sport reinstecken und das, was sie rausbekommen, in keinem angemessenen Verhältnis mehr steht, kann es zum Ausbrennen kommen.
Woran erkenne ich, dass ich wirklich Probleme habe?
Man hat nicht gleich ein Burnout, wenn man mal zwei Tage nicht gut drauf ist. Dann legt man sich hin, ruht sich aus und fängt wieder von vorne an. Burnout im klinischen Sinne hat man, wenn man mindestens sechs Wochen am Stück unter depressiven Verstimmungen, Schlaflosigkeit, Energie- und Antriebslosigkeit leidet. Wenn die Gedanken ständig um dasselbe kreisen und man sich selbst nur noch negativ einschätzt.
Wie findet man aus einem solchen Tief wieder hinaus?
Die meisten haben das Bedürfnis, viel zu schlafen und lassen sich erst mal krankschreiben. Aktive Erholung ist ganz wichtig. In den Urlaub fahren, ausruhen. Man muss sich aus dem jeweiligen “Leistungs-Umfeld” rausziehen, um wieder Energie tanken zu können. Einzel- und gruppentherapeutische Gespräche können auch dazu beitragen, dass man sich wieder besser fühlt.
Zur Person: Oliver Stoll ist Professor für Sport-Psychologie und Sport-Pädagogik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Seit 1983 absolvierte er zahlreiche Marathons, mehrere Ultralang-Streckenläufe und finishte den Ironman-Europe wie auch den Hawaii-Ironman. Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking gehöhrte er als Psychologe zum deutschen Olympia-Team.